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254 | Christian Dürr und Ralf Lechner
Das Frauenkonzentrationslager Mauthausen
Das Konzentrationslager Mauthausen war im Jahr 1938 als Männerlager gegründet
worden, und bis zum September 1944 waren hier und in den Außenlagern beinahe
ausschließlich männliche Häftlinge festgehalten. Einige Transporte weiblicher Depor-
tierter gelangten nach Mauthausen, verblieben dort aber zumeist nur wenige Tage
oder Wochen.188 Für die meisten dieser Frauen stellte Mauthausen ein Durchgangs-
lager auf ihrem Deportationsweg dar, andere wurden zur direkten Exekution dorthin
eingeliefert. Mit dem 15. September 1944 wurden die ersten weiblichen Häftlinge of-
fiziell in den Stand des Konzentrationslagers Mauthausen übernommen. Dabei han-
delte es sich um Frauen der vom Frauen-KZ Ravensbrück übernommenen Außenlager
Mitter sill, Schloss Lannach und St. Lambrecht, allesamt Kleinlager, in denen die Häft-
linge in SS-eigenen Institutionen Zwangsarbeit verrichteten. Hintergrund der «Öff-
nung» des Lager systems Mauthausen für weibliche Häftlinge war jedoch der zuneh-
mende Man
gel an industriellen Arbeitskräften. Um diesem entgegenzutreten, wurden
wenig später zwei Außenlager in der Zuständigkeit des KZ Mauthausen gegründet, in
denen weibliche Häftlinge in der Produktion von Munition bzw. von Textilien zur Ar-
beit gezwungen wurden. Am 28. September traf in Mauthausen ein Transport mit 400
weiblichen Häftlingen aus Auschwitz ein, die dort als Arbeiterinnen für die Rüstungs-
industrie ausgewählt worden waren. Neun Frauen aus diesem Transport, die offenbar
so geschwächt waren, dass sie nicht mehr arbeitsfähig waren, verblieben in Mauthau-
sen, der Rest wurde weiter in das Außenlager Hirtenberg zum Zwangsarbeitseinsatz in
der Munitionsfabrik der «Wilhelm-Gustloff-Werke» überstellt. Im Unterschied zu den
Häftlingen des einen Monat später eingerichteten Frauen-Außenlagers in Lenzing han-
delte es sich bei den Hirtenberger Frauen in der Mehrheit um politisch Verfolgte aus
der Sowjetunion, Italien und Polen. Am 30. Oktober 1944 deportierte die SS 500 und
Ende Jänner 1945 weitere 77 weibliche Häftlinge direkt aus Auschwitz nach Lenzing,
mehrheitlich Jüdinnen ungarischer Nationalität. Die Überstellung aus dem Vernich-
tungslager Auschwitz-Birkenau zur Zwangsarbeit für die «Zellwolle Lenzing AG» ret-
tete vermutlich den meisten von ihnen das Leben. Trotz des strengen Arbeitsregimes
und der besonders gegen Kriegsende immer schlechter werdenden Versorgungslage
verstarben in diesen beiden Lagern insgesamt «nur» 19
Häftlinge, was gemessen an den
enormen Todeszahlen, die im selben Zeitraum in vielen der Außenlager für männliche
Häftlinge an der Tagesordnung waren, eine geringe Opferzahl darstellt.
188 Eine Ausnahme bilden jene Häftlinge aus dem Frauen-KZ Ravensbrück, die ab Sommer 1942 in Maut-
hausen und Gusen als Sex-Zwangsarbeiterinnen festgehalten wurden. Vgl. dazu Helga Amesberger
et al.: Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, Wien 22004, S. 126 ;
Christian Dürr : Weibliche Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen. Stand, Defizite und Aufga-
ben der Forschung, in : Evelyn Steinthaler (Hg.), Frauen 1938. Verfolgte
– Widerständige
– Mitläuferin-
nen, Wien 2008, S. 66–78.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen