Seite - 37 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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deutscher Häftlinge in das KZ Mauthausen |
Die deutschen Vorarbeiter waren «ganz nette Leute», die den Häftlingen auch ab und
zu Brot zusteckten. Später konnte sie kurzzeitig in der Küche arbeiten, wurde jedoch
rausgeworfen, da sie beim Diebstahl von Kartoffeln erwischt wurde, und kam in die Fa-
brik zurück. In Venusberg herrschten sehr schlechte hygienische Zustände, die zu einer
Typhusepidemie führte. Auch Regina Lamstein erkrankte ; aufgrund der Folgen ihrer
Krankheit blieben ihr für die folgenden Wochen nur einige wenige Erinnerungsfetzen :
Bombenangriffe, der Verlust ihrer Schnürsenkel, Grausamkeiten einer jüdischen Ärz-
tin, nach zwei Wochen schließlich wieder der Abtransport : Regina Lamstein, die nicht
mehr selbst gehen konnte, sollte erschossen werden, aber zwei Freundinnen halfen
ihr. Die folgenden, sehr bruchstückhaften Erinnerungen beschränken sich auf einzelne
Szenen, die Regina Lamstein wohl in einem Zustand zwischen Wachsamkeit und Ohn-
macht mitbekommen hat : Sie wurde nämlich ohnmächtig, wurde auf einer Bahre in
den Waggon getragen, lag bei den Toten. Jemand gab ihr Brot, das ihr wieder jemand
wegnahm, sodass es weg war, als sie aufwachte. Dann hat sie eine totale Amnesie.49
In Mauthausen wurde sie von ihren Mithäftlingen über die Todesstiege in das
Frauen lager im Steinbruch geschleppt. Dort, im sogenannten «Zigeunerlager», wurde
ihr Brot gestohlen, ihrer Meinung nach von Roma- und Sinti-Frauen in der Baracke.
Ihre Schilderung der Ereignisse im Frauenlager sind geprägt von einer völligen Ver-
zweiflung : «Das waren ganz schlimme Zeiten auch in Mauthausen, ohne Fressen, auch
ohne Hoffnung, ohne nix, das war Ende.» Aber auch hier hatte sie Freundinnen. Eines
Tages, ganz plötzlich, wären alle Aufseherinnen verschwunden, jedoch nach zwei Ta-
gen zurückgekommen und hätten Kleider ins Lager geworfen. Zwei weitere Tage später,
am 5. Mai, folgte die Befreiung. Regina Lamstein konnte sich allerdings nicht darüber
freuen, denn sie war noch krank. Sie erzählte, dass viele der ehemaligen Häftlinge we-
gen des plötzlichen und zu ausgiebigen Essens umgekommen seien. Sie selbst wurde
von ihrer Freundin Socha versorgt, die in der Küche arbeitete und für sie Kartoffeln
stahl, letztendlich jedoch dabei erwischt wurde.
1945 kehrte sie nach Warschau in ihre alte Heimat zurück, in der sie sich allerdings
nicht wieder zurechtfinden konnte : «Das war das Allerschlimmste, dass du niemanden
gefunden hast.» Danach begann eine schwierige Zeit, bis sie schließlich im Gesund-
heitsamt eine Arbeit fand, die Schwesternschule absolvierte und bald heiratete. Doch
die Ehe sei «nicht sehr gut» gewesen. Sie bekam keine Kinder, was sie auch auf die
Lagerzeit zurückführt. 1969 emigrierte sie nach Deutschland und arbeitete weiter als
Krankenschwester.
Regina Lamstein war nach der Befreiung von ihrer Freundin Socha und deren Mut-
ter Felicia getrennt worden, und diese Trennung dauert bis heute an. Obwohl sie sich
verschiedentlich Briefe geschrieben haben, brach die Verbindung schließlich ab. Re-
49 Zum Evakuierungstransport von Venusberg nach Mauthausen vgl. Alexander Prenninger : Das letzte
Lager. Evakuierungstransporte in der Endphase des KZ-Komplexes Mauthausen, phil. Diss. Univ. Wien
2017, S. 169–177.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen