Seite - 42 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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42 | Alexander von Plato
sammengearbeitet hatten.56 Herr Jurcryk hatte nur wegen der dringenden Aufforde-
rung von Johannes Wrobel einem Interview zugestimmt, weil er sich nicht mit der Ver-
gangenheit belasten wollte. Als er und seine Frau von mir telefonisch hörten, dass ein
solches Interview normalerweise mehr als drei Stunden dauern würde, wollten beide,
besonders seine Frau, das Interview wieder absagen, da sie außerdem am selben Tag
ihre Kinder zum Renovieren ihres kleinen Hauses erwarteten. Schließlich stimmten
sie einem Gespräch dennoch zu. Herr Jurcryk war in der Tat durch das Interview zeit-
weilig sehr mitgenommen, weinte einige Male, redete danach jedoch wie befreit. Frau
Jurcryk, die die ganze Zeit hinter einem Vorhang zur Küche zuhörte, unterbrach mich
einmal mit den Worten «Warum quälen Sie ihn so ?». Andererseits luden sie mich sehr
herzlich zu einem Mittagessen ein, das sie während des Interviews zubereitet hatte. Sie
schritt auch dann ein, wenn er eine etwas frivolere Geschichte oder einen erotischen
Witz erzählen wollte.
Kasimir Jurcryk wurde 1924 im polnischen Tarnów geboren. Sein Vater war Schrei-
ner, seine Mutter Hausfrau, die aber sehr viel nähte sowohl für die eigene Familie als
auch für andere. Kasimir war ein Einzelkind. Er glaubt, dass die Eltern unpolitisch
waren, aber möglicherweise kommunistisch wählten. 1930 wurde Kasimir Jurcryk
in Tarnów in die Volksschule eingeschult. Nach der Schule machte er keine reguläre
Schrei nerausbildung, sondern half beim Vater mit.
1939 besetzen die Deutschen Tarnów. Zunächst sei man gut miteinander ausgekom-
men, aber 1940 wurde er nach Österreich zur Zwangsarbeit auf einem Bauernhof in
oder bei Amstetten (Niederösterreich) deportiert. Dort denunzierte ihn ein ukraini-
scher Zwangsarbeiter wegen Hörens eines Feindsenders : «Die Ukrainer hielten sich für
etwas Besseres und von den Deutschen unter den Arm genommen.»57 Kasimir Jurcryk
wurde im November 1942 verhaftet und kam per Zug über nicht klar gewordene Statio-
nen von ebenfalls unklar gebliebener Dauer, in jedem Fall über ein Wiener Gefängnis,
nach Auschwitz, wo er laut den Lagerdokumenten am 20. März 1943 mit der Nummer
109.328 registriert wurde.58 Er saß sogar in einem normalen D-Zug-Abteil allein mit
einem anderen Häftling. Die entsprechenden Waggons wurden nur abgehängt, dann
fuhr der Zug wie üblich weiter.
Etwa drei Wochen später kam er nach Gusen, wo er im Steinbruch arbeiten musste.59
Dort erhielt er wegen zwei Zigaretten, die er dem Kapo nicht abgab, eine Woche lang
56 AMM, MSDP, OH/ZP1/229, Interview mit Kasimir Jurcryk, Interviewer : Alexander von Plato, Hessisch-
Oldendorf, 20. 12. 2002.
57 Auf der Häftlingspersonalkarte von Mauthausen ist als Grund der Verhaftung angegeben : «mit deutscher
Frau intim». Individuelle Unterlagen Kazimierz Jurczik, Doc. No. 1517113, 1.1.26.3, ITS Digital Archive,
Arolsen Archives.
58 Häftlingspersonalkarte Auschwitz, Individuelle Unterlagen Kazimierz Jurczik, Doc. No. 1517114,
1.1.26.3, ITS Digital Archive, Arolsen Archives. Vgl. Czech, Kalendarium, S. 445.
59 Nach dem Häftlingsstandbuch der Poststelle des KZ Mauthausen (AMM, Y/43) wurde er im August 1943
unter dem Namen Eugenius Kazimierz Jarczik als «Politischer Pole» registriert, erhielt die Häftlingsnum-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen