Seite - 45 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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deutscher Häftlinge in das KZ Mauthausen |
Andererseits wird an den meisten ihrer uns vorliegenden Berichte deutlich, dass
sie als gestandene Gegner des Nationalsozialismus auch unter den brutalen Verhält-
nissen in den Konzentrationslagern ihrer politischen Haltung treu blieben. Diese ihre
Haltungen und Erlebnisse bestimmen auch ihre KZ-Berichte und die Beschreibungen
ihrer Wege nach Mauthausen. Sie werden als Belege der Brutalität eines «besonders re-
aktionären» Teils des Kapitalismus präsentiert. Daher wird ihr Leben immer als Kampf
gegen den Kapitalismus (und auch gegen eine bürgerliche Wissenschaft) erzählt, wie
dies bei Heinz Junge besonders deutlich wird. Seine Berichte sind weniger Erlebnis- als
Kampfberichte und politische Statements.
Auch bei der Analyse der Lebensberichte der deutschen Juden, Sinti und Roma so-
wie der Lebenswege von anderen deutschen Sklaven- und Zwangsarbeitern und -ar-
beiterinnen zeigen sich ähnliche Besonderheiten. Ins Auge springt – und dies hängt
zumeist ebenfalls mit der relativ frühen Verfolgung zusammen –, dass auch diese
Befrag ten zumeist eine längere Odyssee durch Gefängnisse oder KZ bereits hinter sich
hatten, ehe sie in Konzentrationslager in den besetzten östlichen Gebieten oder, zu-
meist am Ende ihrer Verfolgung, nach Mauthausen verbracht wurden.
Trotz dieser Erfahrung einer früheren, längeren und vielfältigeren Verfolgung, die
einige auch nach Auschwitz gefĂĽhrt hatte, wurden das KZ Mauthausen und seine Au-
Ăźenlager als besonders schrecklich eingestuft. Eine eindrucksvolle Schilderung der
Ankunft in Mauthausen gibt der Sinto Reinhard Florian, der im Gegensatz zu unseren
anderen Befragten relativ frĂĽh nach Mauthausen kam :
«…Â
und hier vom Bahnhof in Mauthausen kam uns die SS abholen. Da war die Hölle los. Die
haben uns da rausgetrieben aus den Waggons mit KnĂĽppeln. Wir wussten nicht mehr, wo
wir sollten hintreten. […] Schnell, schnell, schnell, bis zum Eingang, wo das Haupttor war,
und da musste man um die Mauer da rum marschieren. Und die Mauer hat uns furchtbar
Angst gemacht. Die ist unheimlich hoch, unheimlich hoch. Bis wir da reinkamen, das hat ’ne
Ewigkeit gedauert. Die vielen Leute, ja. Das Lagertor war noch geschlossen. Die ganze Nacht
durch hat das gedauert. Ja. Jetzt mĂĽssen Sie sich vorstellen. Man hat keine Ahnung. Man hat
in seinem Leben noch nicht so was gesehen. Noch kein Lager nicht gesehen und nichts. Und
jetzt kriegst du das alles. Mit einem Mal musst du das verdauen. Uns ist die Sprache wegge-
blieben vor Angst und vor Aufregung. […] Und dann hat es geheißen : Laufschritt ! Und von
beiden Seiten, wir waren immer zu fĂĽnft, immer FĂĽnferreihen, ja, und von beiden Seiten
waren welche da mit Knüppeln, aber wir wussten nicht, wer das war. Alles Leute mit so ’ne
gestreiften Anzüge. Das waren ja hier, was da die Schläger waren in diesen Uniformen, in den
Sträflingsuniformen, das waren Kapos und Blockälteste. Also Funktionshäftlinge. Das waren
die Funktionshäftlinge. Die haben uns dann getrieben und haben uns geschlagen und da
mussten wir schon die Toten sehen. Die ersten Toten haben wir da schon zu sehen gekriegt.
Bei jeder Hundertschaft waren zwei, drei erschlagen worden bei diesem Sport.»61
61 AMM, MSDP, OH/ZP1/221, Interview Florian.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen