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deutscher Häftlinge in das KZ Mauthausen |
kommunistische Deserteure für Befragungen zur Verfügung. Zuvor trauten sich viele
nicht, ihre Geschichte in Deutschland öffentlich machen.
Die Zeugen Jehovas wurden und werden in fast allen Diktaturen verfolgt, unter an-
derem deswegen, weil sie sich der Wehrpflicht entziehen, so auch im nationalsozialis-
tischen Deutschland. Sie wurden aber auch gerade wegen ihrer religiösen Prinzipien-
festigkeit in KZ von der SS als Funktionshäftlinge eingesetzt oder putzten in deren
Häusern, da man von ihnen keine Anschläge befürchtete. Zeugen Jehovas hatten sich
jahrzehntelang nach dem Krieg nicht interviewen lassen, aber Ende der 1990er Jahre
hatte sich die «offizielle» Haltung ihrer Zentralen sowohl in Deutschland als auch in
den USA geändert, sodass man die Untersuchung der Geschichte ihrer Verfolgung un-
ter dem Nationalsozialismus zu unterstützen begann und selbst einige Darstellungen
bzw. einen Film veröffentlichte.64 Dennoch lehnten zwei angesprochene Zeugen Jeho-
vas es ab, ein Interview zu geben, und die, die wir befragten, mussten im Vorfeld über
längere Zeit überzeugt werden.
Eine weitere Ursache dafür, warum es besondere Schwierigkeiten in Deutschland
gibt, Interviewpartner unter früheren KZ-Häftlingen zu finden, dürfte darin liegen,
dass die Zahl der «Kriminellen» oder «Asozialen» unter den deutschen KZ-Häftlingen
signifikant höher war als in anderen Ländern und dass diese nach wie vor stigmati-
siert werden. Wie auch aus politischen Gründen verfolgte Deutsche waren sie meis-
tens schon länger der Haft ausgesetzt gewesen als die Masse der später eingelieferten
Häftlinge. Wegen ihrer deutschen Muttersprache, aber auch aufgrund einer gezielten
Strategie der Lagerleitungen wurden sie eher als Funktionshäftlinge eingesetzt. Auch
nach 1945 wurden sie als «Kriminelle» und «Asoziale» weiterhin stigmatisiert, materi-
elle und immaterielle Entschädigungen für die Lagerhaft wurden ihnen verwehrt und
sie blieben auch aus den Überlebendenorganisationen ausgeschlossen. Diese Aspekte
hatten zur Folge, dass viele, die von der SS im Lager als «Kriminelle» oder «Asoziale»
kategorisiert worden waren, in der Nachkriegszeit Probleme hatten, über ihre Erfah-
rungen zu berichten. Einer derjenigen, den wir befragen konnten, Herr Langkraer, war
wohl niemals Funktionshäftling gewesen und war selbst gefoltert worden, aber seine
Lebensgeschichte und sein Auftreten verhalfen ihm nicht gerade zu Sympathien.
Aus Deutschland kamen auch relativ mehr Funktionshäftlinge als aus anderen Län-
dern ; nicht nur «Kriminelle» oder «Asoziale», auch andere Funktionsträger waren we-
gen ihrer deutschen Muttersprache ausgewählt worden. Für manche von ihnen scheint
dies heute problematisch zu sein, da viele ehemalige Funktionshäftlinge sich nach 1945
mit dem Vorwurf der Kollaboration konfrontiert sahen.
64 Videodokumentation «Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS Regime», Deutsch-
land 1996 ; die Begleitbroschüre zur gleichnamigen Ausstellung : Lila Winkel – die «vergessenen Opfer»
des NS-Regimes. Die Geschichte eines bemerkenswerten Widerstandes, hg. v. Wachtturm Bibel- und
Traktat-Gesellschaft, Deutscher Zweig, e. V., Selters a. T. 1999. Grundsätzlich zum Thema : Detlef Garbe :
Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im «Dritten Reich», München 41999 [1993]
(Studien zur Zeitgeschichte, 42).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen