Seite - 52 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
Bild der Seite - 52 -
Text der Seite - 52 -
52 | Melanie Dejnega
ErzÀhlung bestimmte Erfahrungen (bewusst oder unbewusst) in die ErzÀhlung inte-
griert, andere werden wiederum exkludiert und geraten somit in Vergessenheit.4
Die sequenzielle Analyse von fĂŒnf Interviews mit österreichischen Ăberlebenden des
KZ Mauthausen ergab vor diesem theoretischen Hintergrund drei thematische Schwer-
punktsetzungen in den ErzĂ€hlungen ĂŒber die Zeit vor dem Konzentrationslager : erstens
Kindheit und Jugend vor dem Einsetzen der Verfolgung, zweitens die nationalsozia-
lis tische MachtĂŒbernahme und deren Auswirkungen auf Leben und Perspektiven des
Einzelnen und drittens der Moment der Verhaftung und/oder Deportation. Diese drei
Stationen5 haben fast alle Befragten von sich aus im freien ErzÀhlteil der Interviews
geschildert, also ohne von den Interviewenden gezielt danach gefragt worden zu sein.6
Bevor ich auf diese drei dominanten Themen eingehe, werde ich (kurz) die Biogra
fien
der fĂŒnf Ăberlebenden schildern, deren Interviews ich fĂŒr diesen Beitrag verwende. In
einem beinahe schon stenografischen Stil folge ich beim Verfassen dieser Kurzbiogra-
fien im Wesentlichen jenen biografischen Höhepunkten und Sinngebungen, wie sie in
den Interviews genannt wurden.7
Die Biografien der Interviewpartner
Hermann Lein : «Ich war damals achtzehn Jahrâ, also ein Idealist. Vielleicht ein
falscher»
Hermann Lein wurde 1920 in Wien geboren.8 Der Sohn eines Stockdrechslergehilfen
trat Mitte der 1930er Jahre dem katholischen Jugendverband «Neuland» bei. Nach dem
4 Der Volkskundler Albrecht Lehmann identifiziert einen «roten Faden», der sich durch Lebensgeschich-
ten zieht und unterschiedliche Ereignisse (in einer nicht unbedingt chronologischen Reihenfolge) ordnet,
damit ein «Sich-Zurechtfinden» im Leben des ErzĂ€hlenden ĂŒberhaupt erst möglich wird. Siehe Albrecht
Lehmann : ErzÀhlstruktur und Lebenslauf. Autobiographische ErzÀhlungen, Frankfurt a. M./New York
1983, S. 19.
5 Ich verwende in diesem Beitrag das Bild der «Station» als eines Orts in der ErzÀhlung, an dem sich die
Interviewten in der Darstellung «ihrer» Lebensgeschichten ĂŒber einen (im Vergleich zu anderen lebens-
geschichtlichen Themen) lÀngeren Zeitraum hinweg aufhielten.
6 Eine Ausnahme unter den fĂŒnf Interviews bildet das lebensgeschichtliche Interview mit Josef Hechen-
blaikner, das nur einen sehr kurzen (etwa einminĂŒtigen) freien ErzĂ€hlteil enthĂ€lt. Der Zeitzeuge hatte
Schwierigkeiten, seine Lebensgeschichte zunÀchst ohne strukturelle Vorgaben frei zu erzÀhlen. Um dem
Problem beizukommen, wurde das Interview in der Folge vom Interviewer Albert Lichtblau anhand
von ihm gestellter Fragen zur Lebensgeschichte des Interviewten strukturiert. Siehe AMM, MSDP, OH/
ZP1/363, Interview mit Josef Hechenblaikner, Interviewer : Albert Lichtblau, Kufstein, 6. 11. 2002.
7 Zum biografischen ErzÀhlen auf der Basis lebensgeschichtlicher Interviews und der Notwendigkeit einer
transparenten Biografik siehe ausfĂŒhrlich Melanie Dejnega : «Heimat» im GepĂ€ck ? Die Bedeutung der
Migrationserfahrung in Lebensgeschichten «deutscher Vertriebener» in Ăsterreich, phil. Diss. Univ. Bie-
lefeld 2018, S. 79â122.
8 AMM, MSDP, OH/ZP1/003, Interview mit Hermann Lein, Interviewer : Karin Stögner, Wien, 4./9. 7. 2002.
Alle fĂŒnf Mauthausen-Ăberlebenden, deren Interviews fĂŒr diesen Beitrag verwendet werden, sind mĂ€nn-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
zurĂŒck zum
Buch Deportiert nach Mauthausen, Band 2"
Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen