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Weggabelungen und Einbahnstraßen |
Redlinger und dem Zeugen Jehovas Josef Hechenblaikner – tauchen Erklärungen bzw.
Rechtfertigungsstrategien zur Genese ihres politischen bzw. religiösen Engagements
bereits in den Kindheitserzählungen auf. Hermann Lein war im Interview immer wie-
der bemüht, die Gründe für seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus eher in
seinen damaligen Bedürfnissen als Jugendlicher – soziale Anbindung und Akzeptanz,
Möglichkeit der Fortbildung, Suche nach erwachsenen Vorbildern – als in politischen
Motiven zu verorten. So seien weniger weltanschauliche Überzeugungen für seine Mit-
gliedschaft in der katholischen Jugendgruppe verantwortlich gewesen, sondern viel-
mehr die Suche nach sozialem Anschluss und Gemeinschaftsgefühl.
«In, in dieser Zeit, also zwischen 14 und 18 Jahren, bin ich deshalb gut über die Runden
gekommen, weil ich gehörte einem, einem Jugendverband und zwar dem Katholischen Neu-
land [an]. Und da hat man über viele Dinge drüber – – gekommen. […] Also wie gesagt, es
war eine gewisse Geborgenheit in dieser Gemeinschaft von Neuland. Wir sind miteinander
weg gefahren. Wir haben dann einen Mann dann gefunden, der uns das Klettern beigebracht
hat. Lauter so Dinge.»23
In dieser Sequenz hebt Lein vor allem persönliche Gründe hervor, warum er zunächst
im katholischen Jugendverband «Neuland» und später in der katholisch-antinational-
sozialistischen Jugendgruppe aktiv war. Der Grund dafür, dass er soziale gegenüber re-
ligiösen oder politischen Beweggründen für sein politisches Engagement betont, muss
allerdings keineswegs darin liegen, dass Lein der politischen Notwendigkeit seines
Handelns weniger Bedeutung zugemessen hätte. Vielmehr steht diese Argumentation
in Zusammenhang damit, dass Lein bereits im April 1940 aus Mauthausen entlassen
und von der Wehrmacht als Sanitäter eingesetzt wurde. Dort fand er sich zunächst
in einem sozialen Umfeld wieder, das es ihm sicherlich erschwerte, offen über seine
Jugend und sein politisches Engagement zu sprechen. Die Betonung unpolitischer Mo-
tive für das Engagement bei «Neuland» erscheint so als Überrest einer zeitgenössischen
Rechtfertigungsstrategie, die er als deutscher Soldat nach seiner Entlassung aus dem
Konzentrationslager entworfen hatte. Hermann Lein erfuhr in der Nachkriegszeit als
katholischer Widerstandskämpfer und aufgrund seiner regen Tätigkeit als Zeitzeuge in
Schulen und bei öffentlichen Veranstaltungen ein
– verglichen mit anderen Opfern des
Nationalsozialismus – relativ hohes Maß an öffentlicher Anerkennung. Erfahrungen
ehemaliger «österreichischer» Widerstandskämpfer bestätigten den nationalen Opfer-
Mythos : Österreich habe diesen zufolge den «Anschluss» an das Deutsche Reich nie
gewollt, was unter anderem durch die Betonung der Rolle des österreichischen Wider-
stands in offiziellen Geschichtserzählungen betont werden sollte. Hermann Lein hätte
also die Möglichkeit gehabt, seine religiöse oder weltanschauliche Motivation beim
Engagement im Widerstand zu betonen. Dennoch handelt seine Erzählung über die
23 AMM, MSDP, OH/ZP1/003, Interview Lein.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen