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Weggabelungen und Einbahnstraßen |
Auf diese Interviewsequenz folgt eine ausführliche Schilderung dieser letzten Be-
gegnung, die damit endet, dass Redlinger bei seiner Rückkehr nach Bratislava 1945 die
hinterlassenen persönlichen Gegenstände seiner Mutter, die sie ihm bei ihrem letzten
Treffen übergeben und die er bei seiner damaligen Unterkunftgeberin zurückgelassen
hatte, nicht mehr vorfand. Bei der Lektüre des Zitats wird deutlich, dass der Überle-
bende seine damalige Entscheidung für die Politik rückblickend in Frage stellt : «Man
verrennt sich halt.» Redlinger kann sich, obwohl er – wie auch Hermann Lein – nach
1945 anerkannter Widerstandskämpfer war, zu keiner heldenhaften Erzählung seines
Lebensweges durchringen. Obwohl er seine jüdische Herkunft gegenüber den Ver-
folgern kaschieren konnte, war er angesichts der Verfolgung und Ermordung seiner
Familie handlungsunfähig – trotz des starken politischen Engagements, das er über
Jahre hinweg aufbrachte. Redlinger hatte sich als Jugendlicher für die Politik und gegen
Judentum und Familienbande entschieden. Er überlebte Gefängnis- und Konzentra-
tionslagerhaft als politischer Häftling, während seine Mutter und Schwester aufgrund
ihrer jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet wurden. Bereits in den Erzählungen
über seine Kindheit ist also bei Leopold Redlinger ein Motiv zu finden, das seine ge-
samte lebensgeschichtliche Erzählung prägt : das Pendeln zwischen unterschiedlichen
Gefühlen der Zugehörigkeit und Identifikation mit Gruppen : Judentum einerseits,
Kommunistische Partei andererseits. Zwar schließt das eine das andere grundsätzlich
nicht aus, aber Redlingers persönliche Abwehrhaltung gegen das religiöse Judentum,
die mangelnde Identifikation mit seiner jüdischen Herkunft und dazu die Abwehr-
haltung seiner Mutter gegenüber seinem politischen Engagement ließen ihn zwischen
den beiden Polen wählen und letztendlich eine Entscheidung treffen. Die Abwendung
von der einen und Hinwendung zur anderen Seite hat ihm zwar (auch wenn er das zu
diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte) das Leben gerettet, sorgte aber auch noch
zum Zeitpunkt des Interviews für Schuldgefühle im Hinblick auf die Ermordung seiner
Eltern. So kann Redlinger seine Geschichte nicht als Heldengeschichte erzählen
– denn
zur Ermordung seiner Eltern und Geschwister kam auch noch hinzu, dass er in den
sechziger Jahren vom «kommunistischen Glauben» abgefallen war.
Die Kindheits- und Jugenderzählungen Josef Hechenblaikners thematisieren vor al-
lem die materielle Not seiner Familie. Obwohl der Interviewte, wie er wiederholt schil-
dert, als Jugendlicher und junger Erwachsener gerne einer handwerklichen Erwerbs-
arbeit nachgegangen wäre, kehrte er an den elterlichen (kleinen) Bauernhof zurück,
weil er schlichtweg «daheim gebraucht» wurde. Drei Klassen Volksschule absolvierte
Josef Hechenblaikner und verbrachte Kindheit, Jugend und das junge Erwachsenen-
alter fast ausschließlich am elterlichen Hof bzw. im Sommer auf der Alm, um dort Vieh
zu hüten. Ab 1935 begann er sich zunehmend für die Religion der Zeugen Jehovas zu
interessieren. Zum einen – so legt seine Erzählung im Interview nahe –, da ihm dieses
Engagement die Möglichkeit bot, seine Heimatgemeinde zeitweise als Missionar zu
verlassen und in umliegende, ihm bis dahin fremde Nachbarregionen zu kommen. Vor
allem aber sei es das Gefühl gewesen, dass die Lehre der Zeugen Jehovas «mehr für die
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen