Seite - 68 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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68 | Melanie Dejnega
«Ich mit 17 Jahren, 16, ja, im 38er Jahr war ich 17, 16, im 39er Jahr war ich 17, wie der Hit-
ler hereingekommen ist, Deutsche eben. 20. März. Sieg Heil, ein Volk, ein Reich, ein Führer.
Wen haben wir vergessen ? Die Juden und die Zigeuner. Und die Juden sind am nächsten Tag
weggewandert. Und dann haben sie geplündert, sie SS, von den Geschäften alles ausgeräumt.
Uhren
… waren zwei Uhrmacher, der [… ?], noch einer war in der Spitalgasse
… ja, haben sie
alles hinaus und dann verschleudert oder was immer sie damit gemacht haben. Und im 39er
Jahr haben sie mich geholt.»33
Eine im gesamten Interview hervorstechende stilistische Eigenart Horvaths ist der
oft schwer nachvollziehbare Wechsel der Erzählperspektive. So auch an dieser Stelle :
Wird die Sequenz über den «Anschluss» zunächst aus einer (für Autobiografien cha-
rakteristischen) Ich-Perspektive eingeleitet, wechselt er plötzlich abrupt in eine Erzähl-
position, in welcher der Sprecher eine zentrale nationalsozialistische Losung («Ein
Volk, ein Reich, ein Führer !») skandiert. Wie der «Anschluss» und die damit verbun-
denen Maßnahmen zur Verfolgung der Roma bricht an dieser Stelle die nationalsozia-
listische Ideologie ganz unvermittelt über die Biografie Horvaths herein. Die auf den
«Anschluss» folgenden Exklusions- und Verfolgungsmaßnahmen werden vom Inter-
viewten unmittelbar anschließend bereits an dieser Stelle angekündigt : «Wen haben
wir vergessen ? Juden und Zigeuner.»
Im Interview mit dem als Juden verfolgten Fritz Kleinmann wird das Moment des
gefühlten Ausschlusses aus der «Volksgemeinschaft» am vehementesten sichtbar, als er
von der sogenannten «Reichskristallnacht», dem Novemberpogrom 1938, berichtet, in
der seine Schwester von einem Nachbarn schwer misshandelt wurde :
FK : «Ich bin am Karmelitermarkt im 2. Bezirk in die Schule gegangen, in die Sperlgasse. //
mhm // – - – - Das war immer gemischt. Das, dass es so ein Ausmaß angenommen hat, das
hast du ja – zu der Zeit nicht mitgekriegt. [8 Sek. Pause]»
HA : «Das heißt, das hat man nicht geglaubt, also dass/»
FK : «Naja, das erste Mal hat es uns getroffen nach der Kristallnacht //mhm// Net, wie das
so arg gewesen ist. – Meine Schwester ist von dem Burschen aus unserem Haus schwerstens
misshandelt worden, weil er hat wollen schmusen mit ihr //mhm// und sie hat ihn nicht
lassen.»
HA : «Ist sie vergewaltigt worden von ihm ?»
FK : «Na. Er hat wollen schmusen und sie hat ihn nicht lassen, na da hat er sie fürchterlich
verprügelt. // mhm // Und sie war dann die einzige, die im 39er Jahr/. Sie hat ein Visum, ein
Arbeitsvisum nach England verschafft und ist ausgewandert.»34
33 AMM, MSDP, OH/ZP1/710, Interview Horvath.
34 AMM, MSDP, OH/ZP1/125, Interview Kleinmann.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen