Seite - 105 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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105Kommunisten,
Juden und SS-Angehörige, Tschechen, Deutsche und Ruthenen |
In der Erinnerung vieler Überlebender dieses Transportes blieb vor allem die zweiwö-
chige Reise in zunächst offenen, dann geschlossenen Waggons, «ohne Essen, ohne Alles.»70
Bereits in Freiberg waren die Häftlinge seit Anfang April, als die Arbeit in der Flugzeug-
fabrik eingestellt worden war, «einfach völlig ohne Essen» gewesen.71 Lisa Scheuer, eine
Jüdin aus Böhmisch Leipa (Česká Lípa), beschreibt ein Gefühl völliger Gleichgültigkeit
bei ihrer Ankunft in Mauthausen. «[I]ch war so müde und hungrig und hatte nur das
Bedürfnis zu essen oder in Ruhe sterben zu können.»72 Die tschechische Malerin Helga
Weissová-Hošková, die sich als 15-Jährige in diesem Transport befand, war zwar nur
wenige Tage in Mauthausen, «aber diese einige letzten Tage waren […], das waren die
schlimmsten Tage.»73 Die in Reichenberg (Liberec) geborene Erika Futter (heute : Erica
Vais), die wie Scheuer und Weissová-Hošková über Theresienstadt, Auschwitz und Frei-
berg nach Mauthausen gekommen war, hat kaum Erinnerungen an Mauthausen :
«[E]s ist eine Zeit, das habe ich irgendwie gestrichen. Ich erinnere mich nicht. Vielleicht, weil
ich so lange nichts gegessen habe. Ich habe es ganz gestrichen, und das Einzige, dass man den
Kriegslärm hörte und dann die Amerikaner mit diesen weißen Panzern. Das war alles, woran
ich mich erinnere, also, von Mauthausen.»74
Neben dem Elend, das auf dem Transport und bei der Ankunft in Mauthausen geherrscht
habe, berichten mehrere Zeitzeugen von dem Gefühl, dass das Ende des Krieges unmittel-
bar bevorstehen würde. Lea Cohen, 1926 in Kobylec’ka Poljana (tschechisch : Kobylecká
Polana) in der Karpato-Ukraine geboren, wuchs in einer religiösen jüdischen Familie
auf und ging in eine ukrainischsprachige Schule. Im April 1944, nachdem ihr Ort bereits
fünf Jahre unter ungarischer Herrschaft gestanden hatte und Ungarn nun vom Deutschen
Reich besetzt worden war, wurde sie in ein Arbeitslager in Siebenbürgen gebracht. Von
dort wurde sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert und weiter nach Freiberg. Auf dem
Weg von Freiberg nach Mauthausen, so erinnert sich Lea Cohen, hätten Tschechen die
Gleise sabotiert und den Gefangenen erklärt, sie sollten fliehen, da der Krieg bald zu Ende
sei.75 Genauso schildert ihre Mitgefangene Erica Futter die Stimmung :
ders S. 71–103 ; Baumgartner, Die vergessenen Frauen, S. 194–198. Siehe auch den Beitrag von Alexander
Prenninger in diesem Band.
70 AMM, MSDP, OH/ZP1/33, Interview mit Eva Lukash, Interviewerin : Keren Harazi, Beit Izhak, 10. 1. 2003,
Übersetzung, S. 41 ; ebenso AMM, MSDP, OH/ZP1/46–47, Interview mit Sara und Ester Menschen-
freund, Interviewerin : Sarit Lazerovich, Kibbutz Parod, 7./9. 5. 2007, Übersetzung, S. 15.
71 AMM, MSDP, OH/ZP1/812, Interview Weissová-Hošková, S. 16.
72 Scheuer, Vom Tode, S. 95.
73 AMM, MSDP, OH/ZP1/812, Interview Weissová-Hošková, S. 21.
74 AMM, MSDP, OH/ZP1/749, Interview mit Erica Futter de Vais, Interviewerin : Regula Nigg, Olivos, 3. 2.
2003, Übersetzung, S. 27.
75 AMM, MSDP, OH/ZP1/045 Interview mit Lea Cohen, Interviewerin : Sarit Lazerovich, Kibbutz Parod,
6. 5. 2002, Übersetzung, S. 7.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen