Seite - 107 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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107Kommunisten,
Juden und SS-Angehörige, Tschechen, Deutsche und Ruthenen |
schaft. Die Weinstöcke und die Donau dort unten, als ob ich keine anderen Sorgen gehabt
hätte, aber das ist/.»79
Im Lager angekommen, gebar Anna Nathanová ihre Tochter Eva :
«Die Läuse rannten millionenfach herum, und ich setzte mich auf, und nicht/ war drei Wo-
chen lang nicht gewaschen und hatte nicht richtig gegessen und saß einfach dort, und ich
hätte mich in dem Moment, als das Baby herauskam, um nichts weniger kümmern können
als darum, ob es schreit oder nicht.»80
Schluss : Mauthausen, Ort des Widerstands und des sinnlosen Elends
Besonders in diesen letzten Absätzen tritt die unterschiedliche Konnotation von Maut-
hausen deutlich zum Vorschein : Mauthausen steht hier nicht mehr, wie für viele politi-
sche Häftlinge, für die zudem Mauthausen oft das erste nationalsozialistische Konzen-
trationslager gewesen war, für einen mutigen Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, für
einen Ort des Widerstands und der Solidarität. Nein, Mauthausen steht hier synonym
für das sinnlose Elend, für Hungern und Sterben. Die gegen Ende des Krieges nach
Mauthausen deportierten, meist jüdischen Tschechinnen und Tschechen berichten
von Kraftlosigkeit und Passivität. Sie waren oft nicht einmal mehr in der Lage, sich um
ihre Nächsten zu kümmern. Von optimistischen Zukunftsvisionen ist kaum die Rede,
es geht allein um das Hier und Jetzt, man hatte – wie Lisa Scheuer meinte – «nur das
Bedürfnis zu essen oder in Ruhe sterben zu können.»81
Der Gegensatz zwischen jenen, denen es ermöglicht wurde, aus ihren Erfahrun-
gen in Mauthausen unmittelbar eine konkrete politische Mission für die Zukunft
abzuleiten, und jenen, die ihrem Leiden in ihren Schilderungen auch nach über
50 Jahren noch keinen «Sinn» abgewinnen können, ist offensichtlich. Diese Dicho-
tomie sowie der langsame Wandel gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Autorität
von aktiven Widerstandskämpfern hin zu passiven Opfern sind nicht spezifisch für
die Erinnerung an Mauthausen, sondern kennzeichnen allgemein die Erinnerung
an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust – in der Tschechoslowakei und darü-
ber hinaus.82
79 Ebd.
80 Ebd., S. 61.
81 Scheuer, Vom Tode, S. 95.
82 Siehe dazu allgemein etwa Annette Wieviorka : L’ère du témoin, Paris 2009 ; Daniel Levy/Natan Sznaider :
Erinnerung im globalen Zeitalter : Der Holocaust, Frankfurt a. M. 2007 ; Alon Confino : Remembering the
Second World War, 1945–1965. Narratives of Victimhood and Genocide, in : Cultural Analysis 4 (2005),
S. 46–75, URL : https://www.ocf.berkeley.edu/~culturalanalysis/volume4/pdf/confino.pdf (23.9.2020).
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen