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Deportiert nach Mauthausen, Band 2
Seite - 115 -
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115Biografische Hintergründe und präkonzentrationäre Identitäten von polnischen Deportierten | Die nationalen Gedächtnisrahmen Das Polen der Zwischenkriegszeit war ein neuer Staat. Die Staatlichkeit wurde nach über 120  Jahren Nichtexistenz unter völlig anderen historischen, politischen, kultu- rellen und sozialen Bedingungen wieder aufgebaut. Das Land wurde aus Gebieten zu- sammengestückelt, die in dem langen 19. Jahrhundert drei verschiedenen staatlichen Gebilden angehört hatten  – dem zaristischen Russland, dem Deutschen Kaiserreich (vor 1871 dem Königreich Preußen) und Österreich-Ungarn. Diese Teile unterschie- den sich stark voneinander  – in jedem gab es ein anderes politisches und Rechtssystem, anders war die Sozialstruktur, unterschiedlich auch der Umfang der Freiheit für die Polen. Auch die Identifikation mit dem Polentum war nicht überall einheitlich  – und für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung war sie gar nicht so selbstverständlich. Nur einige der ältesten Zeitzeugen erinnern sich noch weiter als bis ins Jahr 1918 und zum Wiedererlangen der Unabhängigkeit Polens zurück.8 Das Jahr 1920 und der Polnisch-Sowjetische Krieg tauchen in den polnischen Berichten schon häufiger auf. Diese frühe Erinnerung basiert vermutlich mehr auf der Überlieferung in der Familie als auf eigenen Erfahrungen. Aber dies schwächt die Identifikationsfunktion dieser Er- innerung nicht, im Gegenteil. Fragmente von Bildern aus dem Ersten Weltkrieg und der Kämpfe, die für die Unabhängigkeit Polens und die Gestaltung seiner späteren Grenzen relevant waren, bilden den Ausgangspunkt in vielen biografischen Erzählun- gen unserer Gesprächspartner. Oft kommen darin Väter, Onkel und andere Verwandte vor, die an diesen Kriegen beteiligt waren  – manchmal kämpften sie an verschiedenen Fronten, aber stets für die Unabhängigkeit. Ich möchte nicht bestreiten, dass sie damals tatsächlich für diese Unabhängigkeit kämpften. Ich möchte nur auf das «Polentum» und den «Patriotismus» der Zeitzeugen aufmerksam machen. Ihre soziale Identität wurde durch die Erziehung im Elternhaus geprägt, aber auch durch polnische Schulen, die sie in der Zwischenkriegszeit besuch- ten, durch die katholische Kirche, die für die entscheidende Mehrheit, wenn auch nicht für alle, ein wichtiger Faktor der Sozialisierung war, und schließlich durch verschie- dene Jugendorganisationen, vor allem die Pfadfinder. Die Berichte der Überlebenden von Mauthausen über ihr Vorkriegsleben zeigen deutlich, dass jede dieser sozialen Ins- titutionen einen wichtigen Beitrag leistete, um sie zum Polentum zu erziehen und ihre nationale und bürgerliche Identität zu prägen.9 Sie zeigen auch, welche Bedeutung jenen Werten damals zukam und welch wichtige Rolle man dem Polentum zumaß, wie national-patriotisch die Erziehung und die Bil- 8 Abgesehen von dem Interview mit Stanisław Dobosiewicz (AMM, MSDP, OH/ZP1/075), das weiter ana- lysiert wird, siehe z. B. die Interviews mit Leon Ceglarz (AMM, MSDP, OH/ZP1/584) oder Wacław Pilar- ski (AMM, MSDP, OH/ZP1/770). 9 Siehe z. B. das Interview mit Ludwik Kosiarski (AMM, MSDP, OH/ZP1/746), Jan Zbigniew Wroniszew- ski (AMM, MSDP, OH/ZP1/591) oder Alojzy Frelich (AMM, MSDP, OH/ZP1/745). Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen Band 2
Titel
Deportiert nach Mauthausen
Band
2
Autoren
Gerhard Botz
Alexander Prenninger
Regina Fritz
Herausgeber
Melanie Dejnega
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21216-4
Abmessungen
16.8 x 23.7 cm
Seiten
716
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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