Seite - 121 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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121Biografische
Hintergründe und präkonzentrationäre Identitäten von polnischen Deportierten |
In den ersten Jahren des Lagerbetriebs waren dies jedoch Personen, die vereinzelt im
Rahmen von Transporten politischer Gegner hierher gebracht wurden, unter anderem
bereits 1940 als «polnische Intelligenz». Erst im Sommer 1944 kam es zu den ersten
großen Transporten polnischer Juden nach Mauthausen mit insgesamt etwa 2000 Perso-
nen
– von Płaszów, Auschwitz und Flossenbürg. Einige hundert weitere polnische Juden
wurden im Rahmen der sogenannten Evakuierungstransporte im Frühjahr 1945, haupt-
sächlich aus Auschwitz, direkt nach Gusen geschickt.
Dieser Text bezieht sich jedoch ausdrücklich nicht auf ihre Erfahrungen. Er basiert
vollständig auf Interviews, die in Polen im Rahmen des MSDP in den Jahren 2002/03
aufgenommen wurden. In diesem Projekt ist es uns – dem polnischen Projektteam
vom Zentrum KARTA – trotz aller Bemühungen nicht gelungen, auf fast 170 aufge-
nommenen Interviews mehr als nur ein einziges Zeugnis eines polnischen Juden auf-
zunehmen. Diese Ausnahme war Mieczysław Staner, geboren 1925 in Krakau, der im
Krakauer Ghetto, dann im Lager Płaszów und ab August 1944 in Mauthausen und
dann in Linz III inhaftiert war.19
Obwohl unser Gesprächspartner kurz nach der Befreiung in Linz nach Polen zu-
rückkehrte, emigrierte er 1954 mit seiner Frau – ebenfalls eine polnische Holocaust-
Überlebende – und lebte mehrere Jahrzehnte lang in Australien. Wir konnten mit ihm
sprechen, weil er nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1999 nach Polen zurückkehrte.
Seine Geschichte ist eine andere als jene der nichtjüdischen polnischen Mauthausen-
Häftlinge. Dies liegt jedoch nicht so sehr an der Erfahrung des Lagers selbst, sondern
an seinen Erfahrungen vor dem Lager und vor allem an seinen Lebenserfahrungen
nach dem Lager und nach dem Krieg. Anders ist auch das Schicksal seiner Familien-
mitglieder, die fast alle im Holocaust ermordet wurden. Das alles erzeugt andere Er-
innerungsrahmen als jene, die wir bei nichtjüdischen polnischen MSDP-Interviewten
beobachten können.
Ich nehme dies nur als Beispiel, um zu signalisieren, dass ein Vergleich des Schick-
sals der polnischen Juden in Mauthausen mit der Mehrheit der polnischen nichtjüdi-
schen Häftlinge eine gesonderte Untersuchung erfordern würde – einschließlich der
Suche nach Zeugenaussagen von Überlebenden in Israel, den USA und anderen Län-
dern. In begrenztem Umfang eröffnet das MSDP-Projekt selbst solche Möglichkeiten,
die aber in diesem Beitrag nicht verwirklicht werden können.
Die Wege der «Intelligenz»
Ich habe mich bemüht, ganz kurz und sehr vereinfacht die typischsten und häufigsten
Erinnerungsrahmen unserer Gesprächspartner an die Zeit vor dem Lager darzustellen,
19 AMM, MSDP, OH/ZP1/090, Interview mit Mieczysław Staner, Interviewerin : Agnieszka Knyt, Krakau, 8. 4.
2002.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen