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Deportiert nach Mauthausen, Band 2
Seite - 123 -
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123Biografische Hintergründe und präkonzentrationäre Identitäten von polnischen Deportierten | «Wir wohnten unter lauter Russen, ich habe schnell Russisch gelernt, sodass ich als polni- sches Kind nicht einmal gehänselt wurde. Ich sprach fließend Russisch, im Übrigen wurden alle Gegenstände in der Schule auf Russisch unterrichtet, bis auf Polnisch. […]» «Ich habe mich eingelebt, ich sprach sehr gut Russisch. Zu Hause sprachen wir natürlich Pol- nisch miteinander, ich lernte schnell lesen. Mein Vater las polnischsprachige Zeitungen. Es ging uns gut, aber im August 1918 mussten wir nach Polen zurückkehren.» «Es gelang uns, bis zur Grenze zu kommen, die deutsch-russische Grenze war damals ent- lang des Dnepr. In Schlobin am Dnepr waren wir in Quarantäne. […] Dann wurden wir bis zur litauischen Grenze gebracht. Und dort […] hinter Nowogródek, eine zweite Quarantäne. Und so war ich zwei Mal in Quarantäne, bevor wir nach mehr als drei Jahren Abwesenheit in unsere Heimatstadt Maków Mazowiecki in Masowien zurückkehrten, von wo wir 1915 weggetrieben worden waren.»21 Diese Aussagen finden sich am Anfang der Lebensgeschichte von Stanisław Dobosie- wicz, dem ältesten Zeitzeugen, dessen Bericht aufgezeichnet wurde. Sein Weg ins Lager ist der längste und seine autobiografische Erinnerung reicht am weitesten zurück  – bis zum Ersten Weltkrieg. Die Ereignisse jener Zeit haben sich in das Gedächtnis des Kin- des als deutliche Bilder eingeschrieben. Das sind die ersten Kindheitserinnerungen, von denen der Zeitzeuge berichtet. Die Bombardierungen, der Anblick von Leichen, die Vertreibung, dann die lange Reise ins Ungewisse und der mehrjährige Aufenthalt in Russland stehen am Beginn seiner Erzählung. Da gibt es keine Trauer um die verlo- rene Kindheit, aber auch kein unverarbeitetes Trauma. Dafür einen Bericht über das schwere Schicksal eines Menschen, der von Kindheit an in die Geschichte verstrickt ist. Die persönlichen Erfahrungen des Zeitzeugen verflechten sich hier sofort, von sei- nen ersten Lebensjahren an, mit dem Gemeinschaftsschicksal. Ohne jeden Zweifel ist das das polnische Schicksal oder, besser gesagt, das Schicksal der Polen. Die Ge- schichte scheint sich außerhalb des Individuums zu entscheiden  – der Einzelne hat ihre Entscheidungen zu ertragen und hat kaum eine Möglichkeit zu entrinnen. Bereits der erste Satz in Dobosiewicz’ Bericht zeigt eine solche historische Perspektive : Wir er- fahren, dass der Erzähler unter dem Zaren, im russischen Teilungsgebiet Polens, nahe der preußischen Grenze geboren wurde. Um diese Aussage zu verstehen, muss man über Elementarkenntnisse der polnischen Geschichte verfügen, über das Wissen um das langjährige Fehlen Polens auf der politischen Landkarte und das Wiedererlangen seiner Staatlichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts.22 21 AMM, MSDP, OH/ZP1/075, Interview mit Stanisław Dobosiewicz, Interviewer : Piotr Filipkowski, War- schau, 1. 9. 2002. 22 Leon Ceglarz, einer der ältesten Zeitzeugen (geb. 1914), baut ebenfalls einen solchen historischen Kon- text auf : «Mein Vater war damals im Krieg, er kämpfte in der russischen Armee. Er war ein tüchtiger und Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen Band 2
Titel
Deportiert nach Mauthausen
Band
2
Autoren
Gerhard Botz
Alexander Prenninger
Regina Fritz
Herausgeber
Melanie Dejnega
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21216-4
Abmessungen
16.8 x 23.7 cm
Seiten
716
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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