Seite - 124 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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124 | Piotr Filipkowski
Dieser Anfang seines Berichts zeigt bereits, wie Stanisław Dobosiewicz die Erzäh-
lung über sein Leben konstruieren wird, mit der Geschichte im Hintergrund, manch-
mal sogar im Vordergrund. Eine solche Konstruktion verlangt selbstverständlich fun-
dierte Geschichtskenntnisse. Als Akademiker aus der Vorkriegszeit und Zeuge nahezu
des gesamten 20. Jahrhunderts verfügte Dobosiewicz über hervorragende Geschichts-
kenntnisse.
Weitere Fragmente seiner Autobiografie beziehen sich auf die Zwischenkriegszeit,
das Heranwachsen, die Schulbildung. An dieser Stelle berichtet Dobosiewicz vor allem
über sein eigenes Leben. Das sieht man am Satzbau, als Subjekt überwiegt hier die erste
Person Singular.
«Ich ging in die Schule, später aufs Gymnasium. Das Gymnasium in Maków war ein städti-
sches Gymnasium, aber man musste Schulgeld zahlen. Ab der fünften Klasse gab ich Nach-
hilfe. Ich war ein hervorragender Lateiner, sodass schon die Schüler der vierten Klasse, die
mit den ersten Lektionen in Latein Schwierigkeiten hatten, zu mir kamen. So begann ich zu
verdienen. Ich hatte eigenes Geld und kaufte Bücher dafür.»
«[…] Außerdem hatte ich verschiedene Interessen. Ich ging gern angeln, auch schwimmen,
ich war ein sehr guter Schwimmer. In der Schule war ich immer der beste oder zweitbeste
Schüler. Mit 17 machte ich die Matura. Da ich noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht hatte,
das bei der Reifeprüfung verlangt war, machte ich die Matura mit einer Sondererlaubnis des
Schulkuratoriums. Aber ich habe sie bestanden. Unser Schularzt, der mich mochte, sah, wie
zart ich körperlich war, und riet mir davon ab, in meinem Alter ein Studium zu beginnen.
[…]»
«Daher blieb ich zu Hause und sparte mir durch Nachhilfestunden Geld für ein ganzes Stu-
dienjahr zusammen. Ich studierte Polonistik in Warschau und hatte hervorragende Profes-
soren : Ujejski, Szober, Doroszewski, Gubernowicz. Ich interessierte mich auch für Sprach-
wissenschaft und besuchte Vorlesungen bei Professor Jan Baudoin de Courteney, der zuvor
an deutschen, russischen und schließlich polnischen Universitäten unterrichtete […]. Ich
war Hörer bei Professor Tadeusz Zieliński, einem hervorragenden klassischen Philologen. Ich
ging auch in die philosophischen Vorlesungen von Professor Kotarbiński, in die psychologi-
schen von Professor Witwicki. […] Da war die wissenschaftliche Crème de la crème an dieser
Universität. Und ich interessierte mich für alles, ich besuchte sogar die Vorlesungen von Pro-
fessor Petrażycki aus Rechtssoziologie. […] Mein Studienbuch ist ein Verzeichnis all dieser
kluger Mann, Lehrer von Beruf. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde er wegen seiner Tätigkeit in der
polnischen Unabhängigkeitsbewegung verhaftet und in die Armee gesteckt. Sein Bruder Teofil wurde
nach Sibirien verbannt, von wo er nicht zurückkehrte». AMM, MSDP, OH/ZP1/584, Interview mit Leon
Ceglarz, Interviewer : Piotr Filipkowski, Błonie, 12. 1. 2003.
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen