Seite - 134 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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134 | Piotr Filipkowski
dem Kindesalter Entwachsenen wurden zu Untergrundaktivitäten herangezogen, ohne
dass ihnen die Folgen dieses Tuns bewusst waren. Und plötzlich zeigte sich, dass dieses
geheime Spiel für sie selbst und ihre Angehörigen grausame Konsequenzen nach sich
zog. Die Lawine der Repressalien wurde oft durch eine Denunziation, ein Missgeschick,
unachtsames und unverantwortliches Verhalten eines anderen losgetreten. Manchmal
geschah es auch durch einen blinden Zufall, dass völlig Unbeteiligte oder Personen
fälschlicherweise anstelle eines anderen verfolgt wurden, wie bei Czesław Oparcik, der
statt seines Bruders ins Lager kam. In seiner Erzählung kommt die drastische Unver-
hältnismäßigkeit zwischen der «Schuld» und der Strafe zum Ausdruck :
«Ich ging in den Hof und sehe, wie die Gestapo das Haus zu umzingeln beginnt. Ich lief in
die Wohnung und schrie : ‹Gestapo !› Die Deutschen kamen herein, suchten meinen Bruder,
fragten : ‹Oparcik Stefan ? !› Ich sagte : ‹Im Hof, ich rufe ihn gleich.› Verblüffung. Ich blickte in
eine Pistole. Plötzlich explodierte im Hof eine Granate. Ich warf mich beim Fenster auf den
Boden, die Deutschen auch. Meinem Bruder gelang die Flucht aus dieser Falle und ich wurde
verhaftet.»44
In den Berichten dieser Zeitzeugengruppe werden die Lager, darunter Mauthausen,
in der Regel als eine von vielen Kriegserfahrungen dargestellt – nicht die einzige und
nicht immer die wichtigste. Der Höhepunkt in den Erzählungen ist oft nicht das Kon-
zentrationslager, sondern die Gestapo, die Untersuchungshaft, das Gefängnis, beson-
ders dann, wenn der Erzähler verhört und gefoltert wurde. Das Ende der Misshandlun-
gen und der Transport ins Lager werden oft als Erleichterung empfunden, als Ende der
schlimmsten Qualen, als Entgehen der unmittelbaren Gefahr und Rückkehr in eine
Gemeinschaft, auch wenn diese Gemeinschaft aus Häftlingen in Sträflingskleidung be-
stand. Diese Behauptung wird glaubwürdig, wenn man folgendes Zitat von Zbigniew
Tłuchowski liest :
«Na ja, die Erinnerungen nicht so sehr an das Gefängnis als vielmehr an die Gestapo sind
sehr schmerzhaft, weil ich noch Spuren von diesen Erinnerungen habe, ich war ein Monat in
der Krankenabteilung. Obwohl ich alles, ich gebe es offen zu, gestanden habe, weil ich genau
wusste, dass sie schon alles über mich wissen, weil wenn sie nur mich verhaftet hätten, dann
/
[…] Sie haben aufgehört, mich zu foltern, weil ein deutscher Arzt eingeschritten ist, er hat
ihnen nicht mehr erlaubt, mich zur Gestapo zu bringen. Als er ihnen das verboten hat, da
haben sie mich nicht mehr geschlagen, aber ich lag in dieser Krankenabteilung. Im Gefängnis
hat mich ein Wärter verprügelt, weil ich während des Spaziergangs zu jemanden/ weil wir
sind im Kreis herumgegangen, einer hinter dem anderen, und angeblich durfte man nicht/
man durfte eben nicht miteinander sprechen, aber ich habe etwas zu jemandem gesagt und er
44 AMM, MSDP, OH/ZP1/081, Interview mit Czesław Oparcik, Interviewer : Tomasz Gleb, Skubianka/War-
schau, 13. 6. 2002.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen