Seite - 138 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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138 | Piotr Filipkowski
Die bewegten traumatischen Erzählungen der Untergrundkämpfer – besonders je-
ner, die aus eigenem «Verschulden» und nicht anstelle von Geschwistern oder Kame-
raden ins Lager kamen – sind vielleicht eher in sich kohärent. Das Lager Mauthausen
(oder seine Außenlager) ist hier nämlich die letzte Station eines logischen und leicht
erklärbaren (und darstellbaren) biografischen Weges : Besatzung – (misslungene) Un-
tergrundtätigkeitÂ
– und Bestrafung dafür : eine Abfolge von Repressalien und am Ende
das Lager. Eine solche Betrachtung dieses Weges stellt selbstverständlich eine retros-
pektive Interpretation dar, die jedoch wichtig ist, um jenen Erlebnissen im Nachhinein
einen Sinn zu verleihen. Und das in mehrfacher Hinsicht – in existenzieller, sozialer
und davor auch politischer.
Wege der «Antihelden»
Eine ganz andere Variante der strafweisen Lagerhaft taucht in den Erzählungen der
«Antihelden» auf : in den Berichten der Opfer von Straßenrazzien oder zufällig er-
wischten Personen bzw. der Zwangsarbeiter, die auf Bauernhöfen und in Industriebe-
trieben eingesetzt und von dort geflohen waren. In diesen Berichten wird der Weg ins
Lager und später konsequent auch die Lagerhaft selbst meist unheroisch, unpatriotisch
und ahistorisch interpretiert. Das Lager wird hier häufiger als in anderen Erzählun-
gen als ein weiterer Schicksalsschlag in einem ohnehin schweren Leben verstanden.
Eine solche Konstruktion der Erzählung passt im Übrigen weitgehend zum tatsächli-
chen Lebensverlauf der Narratoren, die zum GroĂźteil aus niedrigeren Sozialschichten
stammten. Aus dieser Gruppe haben nur sehr wenige Personen ĂĽberlebt, da sie kaum
über soziale und kulturelle Potenziale verfügten, die ihre Überlebenschancen hätten
steigern können, und auch selten ihren Status in der Lagergemeinschaft zu verbessern
vermochten. Sie bewegten sich eher am Rande des Todes, dem sie schlieĂźlich zum
Opfer fielen. Die Ăśberlebenden aus dieser Gruppe tragen nicht zur kollektiven Erin-
nerung an die KZ-Lager bei, schreiben keine BĂĽcher, nur selten engagieren sie sich in
Häftlingsorganisationen oder beteiligen sich an Gedenkritualen. Es ist nicht leicht, zu
ihnen vorzudringen. Umso wichtiger ist es, die Berichte der wenigen Ăśberlebenden zu
hören, die wir aufzeichnen konnten.
Gehen wir gleich zu einem Beispiel ĂĽber. Auf meine Bitte, seine Lebensgeschichte zu
erzählen, beginnt Antoni Żak ganz lapidar mit folgenden Worten : «Ach, meine Lebensge-
schichte ist traurig, ich schäme mich, zu erzählen.» Und dann erzählt er mit vielen Details,
wie seine Familie im Ersten Weltkrieg alles verloren hat und unter welchen Bedingungen
sie danach gelebt haben. Die Quintessenz dieses Fragments könnte folgender Satz sein :
«Wissen Sie, vor dem Krieg, da … Polen vor dem Krieg – im Dorf, da hat es gestunken !»48
48 AMM, MSDP, OH/ZP1/741, Interview mit Antoni Żak, Interviewer : Piotr Filipkowski, Kumiala, 26. 10.
2002.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen