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172 | Mercedes Vilanova
len, die in anderen zur Epoche des Spanischen Bürgerkrieges durchgeführten Inter-
views offensichtlich ist. Mein Interesse für das Thema der Kollektivierungen, die Volks-
komitees und die soziale Revolution führte dazu, dass ich manchmal fast aus einem
unbewussten Reflex heraus fragte : «Was war Ihre Adresse im Dorf ?» Worauf man mir
misstrauisch antwortet, natürlich ohne mir die Adresse zu geben : «Wollen Sie dorthin
schreiben, um zu sehen, was man Ihnen sagt ?» Vielleicht aus Angst davor, von vergan-
genen Ereignissen zu erzählen, oder, wer weiß, einfach aus Angst, dass eine eventuelle
Verfälschung in ihren Erzählungen aufgedeckt werden könnte. Diese älteren Personen
sind eine einzigartige Gruppe hinsichtlich der Möglichkeiten politischen und sozialen
Engagements, über die sie verfügten, wie etwa aus der Erzählung von Josep Simon Mill
hervorgeht :
«Ich war eher Sozialist, weil die Bezeichnung gut klingt. Ich gehörte der CNT an, als die
Republik kam. Mein Vater auch, sonst gab es nichts. Ich war Dorfvorsteher während des
gesamten Krieges, und ich war der Führer. Da es niemanden Fähigen gab, machten sie mich
zum Vorsteher. Es gab die, die sich als Faschisten deklariert hatten, denen musste man das
Haus beschlagnahmen. Ich habe sie nie angeklagt, der Bürgermeister wollte mich umbringen,
obwohl ich ihm das Leben gerettet habe, an dem Tag, als sie aus dem Nachbardorf kamen,
um die Kirche in Brand zu setzen. Sie haben das ganze Dorf mobilisiert, und sie haben die
Heiligen heruntergeworfen und wollten sie verbrennen. Da ich damit nicht einverstanden
war, mischte ich mich ein, um zu vermeiden, dass sie Schaden anrichteten, ich hatte eine nicht
geladene Flinte dabei … Als sie mit dem Gewehr bei ihm geläutet haben, ist der Bürgermeis-
ter durch die Hintertür entwischt.»60
Ein anderer Interviewpartner gleichen Alters, Antoni Barberà Pla, erklärt ebenfalls,
dass er einen verantwortlichen Posten in seiner Gemeinde innehatte : «Ich war schon
verheiratet, es gab keine Leute, um den Stadtrat zu bilden, und ich wurde Stadtrat für
Flüchtlingsangelegenheiten, ich hatte mich um sie zu kümmern, und sie waren alle sehr
zufrieden.»61
Diese älteren Männer konnten im Jahr 1939 nicht nach Spanien zurückkehren, weil
ihre Familienangehörigen nicht die nötigen Bürgschaften beschaffen konnten, um der
grausamen franquistischen Repression zu entgehen. Die Bürgschaften wurden aus po-
litischen und sonstigen Rachemotiven verweigert, sogar Racheakte aus Willkür kamen
vor, wie Simon Mill erzählt :
«Beim Bürgermeister, beim Chef der Falange, musste meine Frau die Genehmigung beantra-
gen, und sie brauchte es von der Falange und vom Pfarrer (rector). Und der Bürgermeister
60 AMM, MSDP, OH/ZP1/176, Interview Simon Mill.
61 AMM, MSDP, OH/ZP1/177, Interview Barberà Pla.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen