Seite - 202 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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202 | Katja Happe
Die höchsten Verwaltungsbeamten der verschiedenen Ministerien, die Generalsekre-
täre, die im Land verblieben, sollten die laufenden Geschäfte weiterführen und das
Land während der Abwesenheit der offiziellen Regierung verwalten. Hitler und die
deutschen Machthaber setzten nur wenige Tage nach der Kapitulation eine deutsche
Zivilverwaltung in den Niederlanden ein, die als Vertreter der Besatzungsmacht in den
Niederlanden agieren sollte. Ihr Leiter und damit Reichskommissar für die besetz-
ten niederländischen Gebiete wurde der österreichische Jurist und Nationalsozialist
Arthur Seyß-Inquart, der ab 1939 als Vertreter Hans Franks im Generalgouvernement
gearbeitet hatte. Ihn unterstützten vier Generalkommissare, die die Aufsicht über die
niederländischen Ministerien führten. Dies waren Friedrich Wimmer (Verwaltung
und Justiz), Hans Fischböck (Finanz und Wirtschaft), Fritz Schmidt (zur besonderen
Verwendung) sowie der für das Sicherheitswesen zuständige Hanns Albin Rauter. Be-
sonders Rauter nahm in seiner Funktion als Höherer SS- und Polizeiführer und gleich-
zeitig als Verantwortlicher für die niederländische Polizei großen Einfluss darauf, dass
sich «Mauthausen» als Synonym für Terror in der niederländischen Gesellschaft eta-
blierte.2
Zu Beginn der Besatzungszeit war dieses Szenario jedoch noch weit entfernt. Die
gesamte Bevölkerung der Niederlande (ca. neun Millionen Einwohner, darunter ca.
20.000 Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich und Österreich3) kehrte nach einigen Ta-
gen und Wochen des Unbehagens und Misstrauens nach dem deutschen Einmarsch zu
ihrem normalen Tagesablauf zurück. Die deutschen Soldaten benahmen sich zurück-
haltend, und auch die offiziellen Vertreter der Besatzungsmacht schienen keine größe-
ren Eingriffe in das gesellschaftliche Zusammenleben vornehmen zu wollen. Auch die
jüdische Bevölkerung, die beim Einmarsch der Deutschen das Schlimmste befürchtet
hatte, arrangierte sich mit den neuen Verhältnissen, zumal die deutsche Verwaltung
versichert hatte, nichts gegen die Juden unternehmen zu wollen.4 Nur die jüdischen
Flüchtlinge, die aus dem Deutschen Reich oder Österreich in die Niederlande gekom-
men waren und bereits Erfahrung mit den antijüdischen Maßnahmen der National-
sozialisten gemacht hatten, blieben weiterhin misstrauisch, und viele versuchten, noch
in letzter Minute das Land zu verlassen. Doch entgegen ihren Befürchtungen schien
das Leben in den Niederlanden trotz der Besetzung in den ersten Monaten ohne grö-
ßere Beeinträchtigungen weiterzugehen.
2 Den detailliertesten Überblick über die Geschichte der Besatzungszeit bietet noch immer Louis de Jong :
Het Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog [Das Königreich der Niederlande im Zwei-
ten Weltkrieg], 14 Bde., ’s-Gravenhage 1969–1994. Auf Deutsch erschienen Konrad Kwiet : Reichskom-
missariat Niederlande. Versuch und Scheitern nationalsozialistischer Neuordnung, Stuttgart 1968, und
Gerhard Hirschfeld : Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung
1940–1945, Stuttgart 1984.
3 Bob Moore : Refugees from Nazi Germany in the Netherlands 1933–1940, Dordrecht 1986.
4 Gerhard Hirschfeld : Niederlande, in : Wolfgang Benz (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der
jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991, S. 137–165, hier 139, Anm. 16.
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen