Seite - 216 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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216 | Katja Happe
Noch unbedeutender war der Verhaftungsgrund, der Hartog (Harry) de Wolf zum
Verhängnis wurde. Der 1896 geborene Seemann und Markthändler stand abends oft
auf kleineren Bühnen und schrieb Lieder, die in den dreißiger Jahren in den Nieder-
landen landesweit bekannt waren. Nach dem Einmarsch der Deutschen durfte er trotz
seiner Ehe mit einer nichtjüdischen Frau seinen Marktstand nicht weiter betreiben.
Als er trotzdem im Juli 1942 einmal in der Nähe des Marktes war, wurde er verhaftet.
Die Begründung lautete «auf dem Marktgelände zu weit vorgewagt». Als Straffall kam
Harry de Wolf in das Lager Amersfoort, von dort wurde er wenige Tage später nach
Mauthausen deportiert, wo er im November 1942 umkam.36
Beide Beispiele zeigen, welch geringe Vergehen 1942 für einen Juden zu einer Ver-
haftung und der Deportation als Straffall nach Mauthausen führen konnten. Mit die-
sem harten Vorgehen verstärkte die Besatzungsmacht die Unsicherheit und Angst in-
nerhalb der jüdischen Bevölkerung. Niemand konnte sich mehr sicher sein, nicht zu
irgendeinem Zeitpunkt oder aus irgendeinem noch so kleinen Grund verhaftet zu wer-
den. Erschwerend kam hinzu, dass nicht die Justiz für straffällige Juden zuständig war,
sondern die deutsche Polizei, die über einen in Berlin beantragten Schutzhaftbefehl
die Dauer der Inhaftierung bestimmen konnte. Rechtliche Einspruchsmöglichkeiten
gab es nicht.37
Nachdem auf der Wannsee-Konferenz am 20. Jänner 1942 die Organisation der
«Endlösung der Judenfrage» besprochen worden war,38 begannen ab dem 15. Juli 1942
regelmäßige Deportationen von Juden aus den Niederlanden nach Auschwitz und spä-
ter auch in das Vernichtungslager Sobibór. Dennoch blieb die Drohung, Personen bei
einem Vergehen nach Mauthausen zu transportieren, bestehen. So meldete die einzige
noch zugelassene jüdische Zeitung «Het Joodsche Weekblad» am 7. August 1942 in
einer Sonderausgabe, dass alle Juden, die ohne Stern angetroffen würden, ohne Geneh-
migung umzögen oder sich dem Aufruf zum Arbeitseinsatz im Deutschen Reich (die
verharmlosende Bezeichnung für die Deportation nach Auschwitz) entziehen würden,
nach Mauthausen deportiert würden.39 Die deutschen Behörden glaubten anschei-
nend, mit der Drohung «Mauthausen», also der Deportation in den sicheren Tod, die
Menschen zur Akzeptanz des vermeintlich leichteren «Arbeitseinsatzes» bewegen zu
können. Sicher ist dies nicht der einzige und auch nicht der ausschlaggebende Grund
gewesen, warum die Deportationen aus den Niederlanden relativ ungestört und aus
deutscher Sicht durchaus erfolgreich abliefen,40 dennoch erzielte die Drohung mit
«Mauthausen» auch in dieser Hinsicht eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Ins-
36 Meyer de Wolf : Hartog (Harry) de Wolf, in : Baumgartner et al. (Hg.), Der Geist ist frei, Bd. 2, S. 165 f.
37 de Vries, «Sie starben wie Fliegen im Herbst», S. 11.
38 Mark Roseman : Die Wannsee-Konferenz. Wie die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte, München
2002.
39 Het Joodsche Weekblad, Nr. 17a (7. 8. 1942), Faksimile in Presser, Ondergang, Bd. 1, S. 272a, abgedruckt
in : Rüter/de Mildt (Hg.), Justiz und NS-Verbrechen, Bd. 25, Lfd. Nr. 645.
40 Bob Moore : Warum fielen dem Holocaust so viele niederländische Juden zum Opfer ? Ein Erklärungs-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen