Seite - 286 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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286 | Barbara N. Wiesinger
liche Erzählung ist von häufigen Abschweifungen geprägt, dafür aber sehr detailreich.
Sie gibt exemplarisch Auskunft über die lange verschwiegene Widerstands- und Ver-
folgungsgeschichte national orientierter Mauthausen-Häftlinge, die geschätzte 20 Pro-
zent der Gesamtzahl der serbischen Internierten106 gestellt haben dürften.
Pavle Milošević schildert im Interview zunächst ausführlich seine patriotisch moti-
vierten Widerstandsaktivitäten. Im März 1941 beteiligte er sich an den Protesten gegen
den Achsenbeitritt Jugoslawiens.107 Während der Okkupation beschaffte er Material
für die Nachrichtentechnik der Mihailović-Tschetniks, vervielfältigte und verteilte de-
ren Propaganda, beschattete Kollaborateure und Funktionäre des Besatzungsapparates
etc.108 Auf seine Festnahme durch die Gestapo folgten einige Wochen Polizeihaft, wäh-
rend derer Pavle Milošević zu Aufräumarbeiten in Belgrad herangezogen wurde.109 Im
September 1943 wurde er nach Banjica eingewiesen. Für diesen Zeitraum spricht Pavle
Milošević ausführlich über die Flucht seines JURAO-Kameraden Nikola Pašić aus dem
Lager, bei der er zurückgelassen wurde, vor allem aber über die ständige Todesangst,
die aufgrund der regelmäßigen Geiselerschießungen in Banjica herrschte :
«Wir ahnen, dass, sagen wir, in einigen [betont] Stunden eine Selektion zur Hinrichtung und
eine Erschießung sein werden. Und wir singen wie verrückt [lauter] ‹Banjičanka› und so wei-
ter und diese Häftlingslieder, dass [die Wände] wackeln, obwohl Singen verboten ist, wissen
Sie. […] Wir haben ei/ einfach diese Vorahnung und [das war] die psychologische [betont]
Reaktion des Org/, eh, des Organismus und der Seele, wissen Sie. Und danach der Aufruf.
[…] Und danach Grabesstille [betont]. […] Ich erinnere mich, ein Major, der in einer ande-
ren Zelle war, hat gerufen : ‹Es lebe [betont] Draža Mihailović ! Es lebe [betont] König Peter !›
Oder : ‹Es lebe Stalin !›, was weiß ich. Das war erschütternd. […] Unabhängig davon, wer wen
hochleben ließ, wissen Sie, das war nicht wichtig. Also, das war furchtbar [gedehnt]. Das hat
diese, diese Grabesstille durchbrochen [laut] […] und wir haben diesen Schrecken und diese
Gefangenenexistenz, wo du damit rechnest, dass sie dich aufrufen und nicht weißt, ob du den
nächsten Tag überleben wirst, noch stärker erlebt.»110
Vor seiner Deportation nach Mauthausen im Oktober 1943 konnte sich Pavle Milošević
am Bahnhof Topčider noch von seiner Mutter verabschieden. Über die Fahrt selbst be-
richtet er wenig, schildert aber detailliert den gewalttätigen Empfang in Mauthausen
und das erniedrigende Aufnahmeritual. Pavle Milošević’ Erzählung über seinen Weg
106 Vgl. Milić, Jugosloveni, S. 57.
107 Vgl. AMM, MSDP, OH/ZP1/676, Interview mit Pavle Milošević, Interviewer : Predrag Marković, Bel-
grad, 2. 12. 2002, Übersetzung.
108 Vgl. ebd.
109 Vgl. ebd.
110 Ebd., eigene Übersetzung nach dem Transkript.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen