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290 | Barbara N. Wiesinger
«Und auf einmal habe ich einen riesigen Baum in der Nähe dieses Zelts entdeckt, der war, der
uns besser vor dem Regen und der Nässe schützen konnte. Und weil ich, äh, dank der guten
Kondition, die ich gehabt habe, […] unter den ersten war, die in Mauthausen angekommen
sind, bin ich zu diesem Baum gegangen. Und als ich bei diesem Baum angekommen bin,
waren dort zwei, drei Gruppen, die Vertreter von zwei, drei Gruppen, die gesagt haben, dass
dieser Or/ dieser Baum besetzt ist, dass ihre, ihre Kollegen kommen und dass ich woanders,
woanders einen Platz […] suchen soll, um mich [vor dem Regen] zu schützen. Am Mor / in
der Nacht, in dieser Nacht ist eine Bombe auf diesen Baum gefallen […]. Alle [betont], die
unter dem Baum waren, sind alle [betont] dort umgekommen. Wenn wir dort geblieben wä-
ren, wären auch wir heute nicht unter den Lebenden.»121
Unabhängig davon, ob sie den historischen Tatsachen entspricht oder nicht, verweist
diese Erinnerung jedenfalls auf die individuelle Realität des Biografen : In seiner le-
bensgeschichtlichen Erzählung betont Ivan Herman nämlich wiederholt, dass er das
Überleben in Mauthausen neben seiner guten körperlichen Kondition und seiner Zu-
versicht vor allem Zufällen verdanke.
Resümee
Die in diesem Beitrag vorgestellten Erzählungen serbischer Mauthausen-Überlebender
über ihren Weg nach Mauthausen zeigen anschaulich, dass unterschiedlichste Bevölke-
rungsgruppen im «Militärverwaltungsgebiet Serbien» von der nationalsozialistischen
Verfolgung betroffen waren. Damit wird das durch die ältere jugoslawische Literatur
suggerierte Bild einer absoluten Prädominanz linksorientierter politischer Häftlinge in
den nationalsozialistischen Lagern inner- und außerhalb Serbiens modifiziert. Bereits
einige wenige Interviews machen deutlich, dass neben Aktivisten der Volksbefreiungs-
bewegung wie Vlada Buljubaša und Ljubomir Zečević auch Mitglieder der Mihailović-
Tschetniks nach Mauthausen deportiert wurden, besonders wenn sie sich wie Pavle
Milošević aktiv im Widerstand engagierten. Neben diesen beiden Gruppen politisch
Verfolgter waren unter den serbischen Mauthausen-Häftlingen willkürlich verhaftete
Zivilpersonen stark vertreten. Diese waren wie Vladimir Jovanović meist Opfer von
Razzien, welche die Wehrmacht zur Rache für Widerstandsakte in Aufstandsgebie-
ten durchführte. Weitaus geringer, aber dennoch nicht zu vernachlässigen, war der
jüdische Anteil an Mauthausen-Häftlingen aus dem heutigen Serbien. Während die
im «Militärverwaltungsgebiet Serbien» ansässigen Juden größtenteils bereits 1941/42
dem nationalsozialistischen Genozid zum Opfer gefallen waren, teilten die jüdischen
Bewohner der ungarisch besetzten Gebiete den Leidensweg der ungarischen Juden.
Einige von ihnen gelangten wie Ivan Herman während der letzten Kriegsmonate auf
121 AMM, MSDP, OH/ZP1/670, Interview Herman, eigene Übersetzung.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen