Seite - 302 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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302 | Katrin Auer
Als die Deportierten am 20. März in Auschwitz-Birkenau ankamen, wurde die Mehr-
zahl von den etwa 2800 Deportierten zur sofortigen Ermordung selektiert, nur
417 Männer und 192 Frauen wurden als Häftlinge in das KZ geschickt.52
«Die erste Versendung bildeten einfache Menschen, Menschen der Arbeit, die Lastenträger
des Hafens, sie sind bekannt, die Lastenträger vom Hafen auf internationaler Ebene, fünf-
hundert Kilo schleppten sie am Rücken, und sie hoben sie auf zwei und drei Böden, mit dem
Packsattel, sie hatten auch das Privileg der Hafenzunft, Menschen des Volkes, Tagelöhner,
sie konnten keine Fremdsprache. Sie konnten kein Deutsch, eine Fremdsprache haben sie
vielleicht gewusst, sie konnten Ladino, die Umgangssprache der Juden von Thessaloniki, eine
Sprache mit spanischen Wurzeln.»53
Die Deportationen aus der deutschen Zone riefen Proteste in der griechischen Bevöl-
kerung hervor. So appellierten 150 Juristen aus Thessaloniki an die Kollaborations-
regierung, die Transporte nach Polen zu verhindern und
– wenn sie schon durchgeführt
werden mussten
– stattdessen auf eine griechische Insel zu leiten. In Athen protestier ten
geflohene salonikische Juden und Jüdinnen, unterstützt von der jüdischen Gemeinde
in Athen sowie von griechischen Intellektuellen und Kirchenvertretern.54 Auf Bitte von
Oberrabbiner Koretz versuchte sogar Premierminister Ioannis Rallis einen Stopp der
Deportationen zu erreichen, allerdings ohne Erfolg, und Koretz wurde deswegen von
Wisliceny bis zu seiner eigenen Deportation unter Hausarrest gestellt.55
Die einzig wirksame Hilfe boten zu diesem Zeitpunkt die italienischen Besatzungs-
behörden an, indem sie die rettende Nationalitätsbescheinigung ausstellten, Flücht-
linge nicht am Überschreiten der grünen Grenze hinderten oder sogar in Armeefahr-
zeugen in die italienische Zone brachten.56 Generell hing in der deutschen Zone das
Schicksal der Juden und Jüdinnen mit nichtgriechischer Staatsbürgerschaft davon ab,
ob die jeweiligen Staaten bereit waren, sich für ihre Rettung einzusetzen, oder ob sie
wie die kollaborierenden Regime (etwa Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Slo-
wakei) einwilligten, ihre jüdischen Staatsangehörigen, die sich auf dem Gebiet des
Deutschen Reiches bzw. in den okkupierten Territorien befanden, in die Verfolgung
einzuschließen.
Bis zum 8. Mai 1943 wurden über 42.000 Juden und Jüdinnen in 14 Transporten
nach Auschwitz deportiert, darunter auch Personen aus kleineren Gemeinden Make-
doniens und aus dem türkisch-griechischen Grenzgebiet. Bei allen Transporten wurden
die meisten Menschen bei der Ankunft in Birkenau selektiert und in den Gaskammern
52 Danuta Czech : Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945,
Reinbek 22008 [1989], S. 445.
53 AMM, MSDP, OH/ZP1/630, Interview Kounio, Z. 337–344.
54 Vgl. Gutman et al. (Hg.), Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 1, S. 560.
55 Vgl. Mazower, Inside Hitler’s Greece, S. 243.
56 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte, S. 365.
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen