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319Schicksale
der Häftlinge aus der Sowjetunion |
Kriegspropaganda, Jugend und Armee
In den 1930er Jahren wurde die junge Generation mit allen propagandistischen Mit-
teln zu einem fanatischen Verhältnis zur eigenen Heimat erzogen. Das propagierte
Bild stellte die Sowjetunion als eine von Feinden umringte, unbesiegbare Festung dar.
Der Sinn des Ganzen konzentrierte sich direkt im Zentrum – im Kreml mit Stalin, der
schlaflos in seinem Zimmer die Nächte hindurch arbeitete. «Die Erde beginnt bekannt-
lich am Kreml. Er ist ihr Mittelpunkt» – diese Gedichtzeile von Wladimir Majakow-
ski kannten alle sowjetischen Kinder jener Jahre. Die Liebe zur Heimat, so wurde der
jungen Generation suggeriert, musste von der Schärfe der territorialen Wahrnehmung
durchdrungen sein. Rückkehr aus dem Ausland wurde zur Rückkehr aus dem Jenseits
und ein Besuch im Ausland zu einem gefährlichen Unternehmen, wo bei jedem Schritt
Verlockungen und Verführungen lauerten.8 Der Geist der Isolation und der Unüber-
windlichkeit der sowjetischen Grenzen rückte immer stärker in den Vordergrund.
Die jungen Leute, die in den 1930er Jahren aufwuchsen, gleich welchen sozialen
Schichten sie angehörten, wuchsen in Erwartung des nahenden Krieges auf. Ständig
war von Verteidigung die Rede : Bücher, Filme und Theaterstücke zu militärischen
Themen wurden damals mit dem Zusatz «Verteidigungs-» versehen. Andererseits war
schon der bloße Gedanke unzulässig, dass man auf dem eigenen Territorium würde
kämpfen müssen. Daran, dass es Krieg geben würde, hat in den 1930er Jahren niemand
gezweifelt. Unklar blieb lediglich, was für ein Krieg das sein würde und gegen wen er
geführt werden müsste. Seit Mitte der 1930er Jahre wurde von der Propaganda unent-
wegt eingehämmert, dass der Krieg leicht, schnell und siegreich sein werde. Deshalb
war auch die Stimmung zu Beginn des Krieges so, wie Sergej Driga es beschreibt, der
damals bei der Kriegsmarine in Sewastopol stationiert war :
«Und der Krieg hat begonnen. Wir sind ausgerückt. Scheiße – wir wussten nicht, gegen wen.
Und dann wurde schließlich gesagt, dass Deutschland die Sowjetunion angegriffen hat. Na,
wenn sie mich fragen, ob wir Angst gehabt haben : Nein ! Keiner von uns hat Angst gehabt.
Ja. Wir haben irgendwie geglaubt, irgendwie gehofft, dass sie nicht weit kommen, verstehen
sie ? Wir waren so sicher […]. Und keiner hat geglaubt, dass der Deutsche bei uns so tief ins
Landesinnere vordringen wird.»9
Ähnliche Zitate, die die Überzeugung vom schnellen Sieg demonstrieren, finden sich
in mehreren Interviews.
8 Das sollten dann auch nach 1945 in die Heimat zurückkehrende ehemalige Häftlinge von Mauthausen
voll zu spüren bekommen.
9 AMM, MSDP, OH/ZP1/259, Interview mit Sergej Wassiljewitsch Driga, Interviewer : Kirill Wasilenko,
Donezk, 14. 6. 2002, Übersetzung, Z. 109–119.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen