Seite - 322 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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322 | Irina Scherbakowa
er für die sowjetische Armee gearbeitet, hat in Moskau in Akademien unterrichtet. Und dort
ist er ermordet worden, in Moskau ist er ermordet worden.»14
Wadim Gumennyjs Vater fiel ebenfalls im Großen Terror zum Opfer :
«Im Jahr 1937 sind sie in der Nacht gekommen und [haben] den Vater verhaftet. Und morgen
komme ich in die Schule und es sollte Gesangunterricht sein. Ich war damals, glaube ich,
bereits in der sechsten oder siebenten Klasse. Und ich sehe, dass die Mädchen weinen […].
Und da steht Wasja und sagt : ‹Bei denen sind in der Nacht die Väter verhaftet [worden].› Und
dann habe ich auch angefangen zu weinen. [weint] Und jetzt will ich auch weinen.»15
Später stellt sich in dieser Episode heraus, dass in diesem Dorf 18 Männer verhaftet
und samt dem Vater des Befragten als polnische Spione erschossen worden sind. Es
mag erstaunen – doch trotz dieser tragischen Geschichten und des erlebten Unrechts
finden sich faktisch in keinem der durchgeführten Interviews Aussagen, in denen, bei
allen kritischen Beschreibungen, eine entschiedene Ablehnung des Sowjetregimes an-
geklungen wäre (insbesondere in Bezug auf die Vorkriegszeit). Igor Malizkij berichtete
etwa über die Ermordung seines Vaters als angeblicher polnischer Spion und die Fol-
gen, die dies für ihn selbst hatte :
«Nach der Verhaftung [des Vaters] blieben wir mit der Mutter allein. Und das Verhalten uns
gegenüber war, wissen sie, dementsprechend. Aber das Schwierigste in meinem Leben ge-
schah, schwieriger als alle KZ, die ich durchmachte, 1940, als man mich in der Schule beim
Pionierappell ausgerufen hat, in die Mitte stellte, und der Pionierleiter erklärte, dass der Sohn
des Volksfeindes kein Recht hat, das rote Pioniertuch zu tragen. Ich weiß nicht, wie ich am
Leben geblieben bin, weil in der Nähe der Schule eine Brücke war, ich lief und sprang von der
Brücke in den Fluss … Aber man hat mich rausgeholt, nach Hause gebracht, auch die Lehrer.
Es gab ja auch anständige Menschen. Aber ich habe aufgehört in die Schule zu gehen. Und die
Mutter bettelte : Du musst allen beweisen, dass du ein ehrlicher Mensch und der Sohn eines
ehrlichen Menschen bist. Ich hab dann geschworen, dass ich das beweisen werde.»16
Diese Episode ist in dem Sinne charakteristisch, weil sie anschaulich zeigt, wie stark
die Überzeugung und der Glaube an das kommunistische Regime war und welche
Rolle die Schule dabei gespielt hat mit der aktiven ideologischen Indoktrination, die
die junge Generation beeinflusste. Leider gibt es keine Möglichkeit zu überprüfen, wie
14 AMM, MSDP, OH/ZP1/259, Interview Driga, Z. 45–56.
15 AMM, MSDP, OH/ZP1/842, Interview mit Wadim Iljitsch Gumennyj, Interviewer : Kirill Wasilenko,
Lwiw, 4. 12. 2003, Transkript, Z. 29–38.
16 AMM, MSDP, OH/ZP1/849, Interview mit Igor Fedorowitsch Malizkij, Interviewerin : Alena Koslowa,
Charkiw, 11. 11. 2003, Transkript, Z. 88–97.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen