Seite - 328 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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328 | Irina Scherbakowa
Ukrainern gegangen. Dort war’s nicht auszuhalten, dort/ Wir sind wieder weg, sogar die Uk-
rainer [betont] sind zu den Russen gegangen, haben sich als Russen registrieren lassen.»29
Auch in Wladimir-Wolynski (Wolodymyr-Wolynskyj) fanden Selektionen von Kom-
missaren und Juden statt, wie Michail Rybtschinskij erzählt :
«Und dann bei der Rassenkontrolle, das war folgendermaßen : Zu fünft waren wir dort. Oberst
Sinowjew, so ein reinrassiger Chochol [abwertend fĂĽr : Ukrainer], aber die Nase war krumm. Den
haben sie in den Keller geschickt, Hose ausziehen, zur ErschieĂźung. Schenka Ewpatschenko aus
Charkow, so ein richtiger Blondschopf, also. Mich hat er auch von hinten gemustert, das da [Geste]
alles : ‹Familienname ?› – ‹Rybtschinskij› – ‹Familienname der Mutter ?› – ‹Markow.› – ‹Wo hast
du gewohnt ?› – ‹Wie, wollt ihr ein Telegramm schicken ?›, hab ich gesagt. ‹Gorkij-Straße, Kiew,
Gorkij-StraĂźeÂ
51.› Er dann : ‹Warum, warum in der Ukraine russisch ?›. Na, da waren schon welche
von uns dabei, Polizisten. ‹Ach›, sagt der, ‹in Kiew gibt es ja viele Russen.› Also hat er bei mir : rus-
sisch. Alexandrow, und so weiter. Um mich umzubringen, als Juden, deshalb waren die Fragen. Ich
hätte nie gesagt, dass er [Alexandrow] Jude ist. […] Sie haben ihn in den Keller gebracht und der
ist nicht durchgekommen, er wurde erschossen. Und dann haben wir erfahren, dass er verraten
worden war. Die mit ihm zusammen waren, die hatten ihn verraten [geflüstert].»30
Nach der Gefangennahme ging es für diejenigen, die sich auf den Sammelplätzen und
in den Durchgangslagern befanden, um das nackte Ăśberleben. Deshalb (wie paradox
das auch klingen mag) gehörten die Kriegsgefangenen, die nach einigen Monaten oder
sogar Jahren nach Mauthausen gebracht worden sind, zu denen, die das GlĂĽck hatten,
nicht zu sterben, bevor man sie in die Stalags und Oflags in das Deutsche Reich brachte.
Konstantin Schilow, der im September 1941 an der SĂĽdwestfront bei Kiew in Gefan-
genschaft geraten war, kam ebenfalls in das Stalag Wladimir-Wolynski :
«Es gibt so eine Stadt in der Ukraine, Wladimir-Wolynski, und dort waren Lager, oder zwei,
für Soldaten und für Offiziere […]. In diesem Offizierslager waren 8000 und im Soldatenlager
9000. Im FrĂĽhling 42 sind in unserem Lager 4000 und in dem anderen 200Â Menschen ge-
blieben. Sie wurden nicht erschossen, sie alle sind an Hunger gestorben, nur an Hunger und
Krankheiten, es war auch eine Typhusepidemie. Aber glĂĽcklicherweise habe ich den Typhus
schon 1930 oder 31 gehabt.»31
Es gibt in den Interviews auch ausfĂĽhrliche Beschreibungen dieser Sammel- und
Durchgangslager. Wassili Gontscharow erzählt, dass er nach seiner Gefangennahme
29 AMM, MSDP, OH/ZP1/604, Interview Rybtschinskij, Z. 226–233.
30 Ebd., Z. 248–266.
31 AMM, MSDP, OH/ZP1/825, Interview mit Konstantin Alexandrowitsch Schilow, Interviewerin : Irina
Scherbakowa, Udelnoje, 13. 7. 2002, Teilübersetzung, Z. 54–63.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen