Seite - 338 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
Bild der Seite - 338 -
Text der Seite - 338 -
338 | Irina Scherbakowa
Die Wege der politischen Häftlinge
Wenn wir die Biografien dieser Gruppe von Mauthausen-Häftlingen betrachten, so ist
es wichtig hervorzuheben, dass wir in diesem Fall mit den Personen zu tun haben,
die real mehr oder weniger motiviert in Widerstandsaktivitäten verwickelt waren (das
unterscheidet sie z. B. von vielen «Ostarbeitern»). Darunter finden wir auch Frauen.
Galina Siwoded erklärt in ihrem Interview, das sie etwas gegen die Besatzer tun wollte,
weil ihr Mann ein Rotarmist war und schon Anfang des Krieges an der Front gefallen
war. Bei Grigori Iwantschuk (geb.1924) waren Vater und Brüder aktive Kommunisten,
er war selbst vor dem Krieg Sekretär des Komsomol und dann Mitglied einer Unter-
grundorganisation, die von der kommunistischen Ortsführung gebildet worden war.
Auch bei Wassili Kononenko kann man die Motivation nachvollziehen : Sein Vater war
ein von den «Kulaken» in den 1930er Jahren ermordeter kommunistischer Aktivist.
Die Jüngeren wurden durch Bekannte und Verwandte in die Widerstandstätigkeit ver-
wickelt ; sie hatten kleine Aufgaben zu erfüllen, die sie auch selten konkret beschreiben
können, ebenso wie die Figuren von Partisanen und Ähnlichen, mit denen sie in Ver-
bindung standen. Wassili Kononenko, der im Gebiet Tschernigow (Tschernihiw) in der
nördlichen Ukraine lebte, beschreibt seine Tätigkeit im Widerstand folgendermaßen :
«Ich habe Aufgaben ausgeführt. […] Sie sind von Zeit zu Zeit zu uns gekommen. Und ich
musste ihnen Auskünfte über die Eisenbahn geben. Doch wir haben weit weg gewohnt. Doch
meine Tante wohnte gleich bei der Eisenbahn, so direkt dort. Und die Bäume sind im Winter
kahl, so kann man sehen, in welche Richtung die Züge gehen und welche Züge : Standard-,
Waren- oder so Personenzüge oder welche, alles und zu welcher Zeit. […] Und da musste ich
alles auskundschaften. Dann haben sie auf der Grundlage all dieser Angaben, die ich gegeben
habe, entschieden, wo und wann sie am besten den Zug den Abhang hinunterlassen. Und sie
haben dies gemacht. Nicht gegenüber unserem Dorf, sondern so zwischen den Dörfern, weil,
wenn es gegenüber dem Dorf ist, dann hat das Dorf dafür zu büßen. Doch irgendwo im Feld
dort, das geht.»50
Bei diesen Geschichten spielt der Verrat von Einheimischen und Nachbarn eine große
Rolle, die sie an die Ortspolizei auslieferten. Sie wurden in die Ortsgefängnisse ge-
bracht, noch auf dem besetzten Gebiet (das ist auch ein Unterschied zu Zwangsarbei-
tern und Kriegsgefangenen), und erwarteten in vielen Fällen die Erschießung. (Auch
bei ihrer Tätigkeit im Widerstand war ihnen die Gefahr bewusst.) Manche berichten
davon, dass einige aus ihrer Gruppe hingerichtet wurden. Für diese Gruppe ist es auch
charakteristisch, dass manche nach einer Reihe Durchgangsgefängnisse direkt in Kon-
zentrationslager gebracht wurden, einige in österreichische Gefängnisse und dann
nach Mauthausen.
50 AMM, MSDP, OH/ZP1/654, Interview Kononenko, S. 19.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
zurück zum
Buch Deportiert nach Mauthausen, Band 2"
Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen