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Imke Hansen
«Sie haben uns die ganze Zeit spazieren gefahren …»
Wege von Verfolgten aus der Ukraine nach Mauthausen
Für ukrainische Häftlinge stand die Haft im Lagerkomplex Mauthausen in der Regel
am Ende eines Verfolgungsweges. Sie legten auf dem Weg nach Mauthausen hunderte
bis tausende Kilometer zurück, lernten Orte kennen, trafen Menschen und sammelten
Erfahrungen. Manche sind als Soldaten in Kriegsgefangenschaft geraten, andere als
junge Arbeiterinnen zwangsrekrutiert und verschleppt worden, wieder andere als poli-
tische Gegner inhaftiert und auf eine Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager
geschickt worden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Verfolgungsschicksale, auf die im
Folgenden noch ausführlicher eingegangen wird, haben die Wege doch Gemeinsam-
keiten, oder eher Elemente, die strukturell gleich sind, sich aber unterschiedlich gestal-
ten konnten. So hatte beispielsweise jeder Verfolgungsweg einen Anfang. Jeder Weg
wies Stellen auf, an denen sich das weitere Schicksal entschied und die Dinge einen oft
unerwarteten Verlauf nahmen. Und in allen Erzählungen kommen andere Verfolgte
vor, die man während der Verfolgung kennengelernt hat. Im Folgenden sollen die Nar-
rationen ukrainischer Überlebender von Mauthausen anhand von drei gemeinsamen
Strukturelementen untersucht werden : dem Wegbeginn, den Wegscheiden und den
Weggefährten.
Unter Beginn des Weges wird hier der Aufbruch aus dem Alltag in der besetzten Uk-
raine in eine ungewisse Zukunft verstanden, der in allen hier verwendeten Berichten
gleichzeitig eine soziale und geografische Veränderung bedeutete. Das trifft auch auf
die ukrainischen Kriegsgefangenen zu, auch wenn sie in der Regel in anderen Teilen
der Sowjetunion stationiert waren, als sie inhaftiert wurden. Es stellt sich die Frage,
wie die Interviewten den Beginn der Verfolgung wahrnehmen und inwiefern sie ihn
als soziale Situation erzählen. Wegscheiden bezeichnen Momente, in denen sich der
Weg der Verfolgten überraschend änderte, und Situationen, welche die Überlebenden
als entscheidend für die weitere Gestaltung des Weges darstellen. Von besonderem
Interesse ist hier, welchen Stellenwert die Erzählenden dem eigenen Verhalten und sei-
nem Einfluss auf den Verlauf des Weges beimessen. Als Weggefährten werden Men-
schen definiert, zu denen die Interviewten eine besondere Bindung hatten und die sie
während der Verfolgung ein Stück begleiteten. Hier wird untersucht, welche Rolle den
Weggefährten in der Erzählung zugewiesen wird. Durch die nähere Betrachtung dieser
drei Momente in unterschiedlichen Interviews soll ein möglichst umfangreicher und
gleichzeitig individualisierter Einblick in die Verfolgungswege von Sowjetbürgern aus
der Ukraine gewährt werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich bei den
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Buch Deportiert nach Mauthausen, Band 2"
Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen