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italienischer Deportierter nach Mauthausen |
und andere Italiener, denn später konnte ich aus meiner Position heraus auch anderen Italie-
nern helfen.»68
Die Deportation eines römischen Juden : Mario Limentani
«Die Geschichte meines Lebens begann nicht ’43, als die Deutschen nach Rom kamen, son-
dern 1938, als Mussolini ein Dekret herausbrachte, dass wir Juden nicht mehr zu Italien ge-
hörten. Man konnte nicht mehr zur Schule gehen ; wir konnten nicht mehr arbeiten gehen ;
wir konnten nicht mehr ins Kino gehen. Wer einen Beruf ausĂĽbte, Arzt oder Doktor, was auch
immer, konnte ihn nicht ausüben. Wer ein Radiogerät zu Hause hatte, musste es der Polizei
abgeben. Wir waren richtig ausgeschlossen als Italiener.»69
So beginnt die freie Erzählung von Mario Limentani, der 1923 im Ghetto von Vene-
dig geboren wurde und im Alter von vierzehn Jahren mit seiner Familie in das Herz
des römi schen Ghettos zog. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend – sein Vater
war ein Flickschuster –, hatte er sich immer als Straßenhändler durchgeschlagen, wie
schon sein mehrere Jahre älterer Bruder.
«Ich arbeitete selbstständig : Ich hatte so ein kleines Kästchen, wir arbeiteten mit Stecknadeln,
also kleines Zeug. Ich wurde so oft verhaftet, sie beschlagnahmten mein Zeug und ich saĂź
vierundzwanzig Stunden in der Sicherheitszelle. Ich bin viel in der Sicherheitszelle gesessen,
viel, viel, viel, viel […]. Weil ich keine Lizenz hatte […]. Sie beschlagnahmten mir die Waren,
ich war ruiniert […]. Zu dieser Zeit war es sehr schwer, an Warenlieferungen zu kommen,
weil als Jude / auf irgendeine Art schafften wir es aber immer, jemanden zu finden, der uns
etwas gab, um zu arbeiten.»70
Mario stellt eine besondere Typologie eines Juden aus dem römischen Ghetto dar. Er
war sehr stark an seine Familie, an die jĂĽdische Religion und Tradition gebunden, er
war ein Straßenhändler, der durch die Märkte Roms zog, er hatte eine niedrige Bildung.
Auch seine Erzählweise ist typisch geprägt, vor allem wenn er beleidigende und arro-
gante Antworten erwähnt, die ihn Erniedrigungen und Prügel gekostet haben.
So wie Mario waren sich die römischen Juden und im Allgemeinen die italieni-
schen Juden, obwohl sie durch die Rassendekrete bereits eine RĂĽckkehr in barbarische
mittelalterliche Verhältnisse erlebt hatten, überhaupt nicht bewusst, welches tragische
Schicksal ihnen nach der deutschen Besetzung Roms drohte : «Ich glaubte, dass sie sie
68 AMM, MSDP, OH/ZP1/016, Interview Todros, Z. 1886–1890.
69 AMM, MSDP, OH/ZP1/015, Interview mit Mario Limentani, Interviewerin : Doris Felsen, Rom, 1. 7.
2002, Transkript, Z. 11–16.
70 Ebd., Z. 470–483.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen