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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Valentino Filipovic | Gespräche im Gehen 17
die die Aneignungsmöglichkeiten der Menschen, ihre Bewegungen und die Orientierun-
gen ermöglichen und begrenzen. In ihnen liegt sozusagen die erste Dimension kultureller
Erfahrung und damit sind sie ein ganz wesentlicher Schlüssel, Stadt zu verstehen.“ (Kat-
schnig-Fasch 1999, S. 281)
Was sucht der Stadtforscher – der ich in diesem Fall bin – dabei auf der Straße? Er möchte
hinter die Fassaden der Straße blicken. Er möchte sehen, was vielleicht nicht auf den ersten
Blick ersichtlich ist und sich nicht allen gleichermaßen zeigt. Er möchte die Straße nicht nur als
öffentlichen Raum verstehen, mit all seinen Regeln, Normen, Konflikten, Aushandlungen. Er
möchte im Stadtraum – wie es Andrew Irving beschreibt – eine Art tiefer gehende Erinnerung
entdecken, welche unter der Oberfläche und hinter der Materialität der Stadt liegt, und sowohl
individuell als auch kollektiv getragen wird. (Irving 2016, S. 4). Der Stadtforscher möchte die
Stadt fassbar machen „als ein[en] visuell unbegrenzte[n] Raum, der im Durchgang Sequenz für
Sequenz wahrnehmbar ist“. (Rolshoven 2001, S. 108)
Stadt und ihre Orte
Die Orte einer Stadt stehen im Zentrum der Bedeutung und Wahrnehmung ihrer Stadtbewoh-
ner_innen:
„Städte verfügen über ein Gedächtnis, das mit dem unsrigen kommuniziert, es provoziert
und wachrüttelt. […] Die Orte und Denkmäler […], die Namen der Plätze, Straßen und
U-Bahnstationen, die uns in die Tiefe des Untergrunds hinabziehen, sprechen von unserer
Geschichte. Aber jeder Mensch hat auch eine eigene Geschichte im Herzen der Stadt gelebt.
Auf Spaziergängen, Streifzügen oder auf dem Weg zur Arbeit kann uns die Erinnerung an
Zeiten einholen, in denen wir jĂĽnger waren, einen anderen Beruf oder ein anderes soziales
Leben hatten. Die Stadt als Geschichte oder als Gedächtnis bündelt und vermischt die all-
gemeine mit der individuellen Geschichte.“ (Augé 2000, S. 180f.)
Hervorzuheben ist Augés Unterscheidung der Orte und Nicht-Orte. Er definiert den Ort
als „ein[en] Raum, in dem man die individuellen und kollektiven Identitäten, ihre Beziehungen
und Geschichte, ablesen kann.“ (Ebd., S. 179) Den Nicht-Orten schreibt er die Eigenschaften
der Momenthaftigkeit und Allgegenwart zu. Für ihn sind Nicht-Orte die Räume des Verkehrs,
die Räume der Kommunikation und die Räume des Konsums (vgl. ebd., S. 179). Es sind Orte,
welche „hauptsächlich von einsamen und schweigenden Individuen frequentiert [werden].“
(Ebd., S. 179)
Dabei stößt der Stadtforscher jedoch auf ein Problem, das Marc Augé beschreibt: „Die
Anthropologen [und Kulturanthropologinnen, vf] haben seit jeher davon geträumt, klar umris-
sene, transparente Orte zu untersuchen, in denen sich Kultur, Gesellschaft und Individualität
in der Organisation des Raumes ausdrücken und widerspiegeln.“ (Ebd., S. 178).
Hier zeigt sich die täuschende, weil vermeintliche Transparenz von Orten. Denn was dem
einen als Nicht-Ort erscheint, ist für andere Menschen womöglich ein Ort, der für sie nicht
geschichtslos ist. Das Perfide an Augés Unterscheidung von Orten und Nicht-Orten ist die
Möglichkeit, dass in der individuellen Erfahrung jeder Ort ein Nicht-Ort werden kann, und
umgekehrt (vgl. ebd., S. 180). Um ein bekanntes Beispiel von Augé zu nennen: Der Flughafen
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Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal