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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Anna Riegler | Die urbane Zeichenlandschaft 67
die keine Aufträge annehmen, oder nur solche, die mit ihren politischen und ideologischen
Einstellungen vereinbar sind. Diese Akteur*innen betonen das subversive Potenzial von Street
Art und betrachten explizite oder implizite gesellschafts- und konsumkritische Botschaften als
wesentliches Merkmal von Street Art-Werken. Auf der anderen Seite befinden sich Akteur*innen,
die jeden Auftrag annehmen. Dabei werden vor allem jene Street-Art-Künstler*innen mit Sell-
Out Vorwürfen konfrontiert, die mit Großunternehmen und Konzernen zusammenarbeiten.19
Sophia nimmt in dieser Diskussion die erstgenannte Position ein. Sie arbeitet nur an legalen
Wänden. Um ihre Werke im städtischen Raum anbringen zu können, fragt sie häufig Haus-
besitzer*innen direkt um Genehmigung. Mit ihren Arbeiten, in denen sie unterschiedliche,
häufig gesellschaftskritische und feministische Themen verarbeitet, möchte sie Leute zum
Nachdenken anregen. Sie sieht die Straße als wichtiges und machtvolles Medium, mit dem sie
viele Menschen erreichen kann. Die Etablierung von Street Art am institutionalisierten Kunst-
markt und in Galerien empfindet Sophia als positiv und wünschenswert. Sie betont jedoch das
subversive Potential von Street Art und sieht deswegen die Nutzung von Street Art für Werbe-
zwecke kritisch.20
Georg hingegen äußert sich deutlich positiver gegenüber der Kommerzialisierung von
Street Art und Graffiti, da er sich damit seinen Lebensunterhalt verdient. Außerdem bewirke
die Kommerzialisierung auch gesellschaftliche Akzeptanz sowie die Etablierung am institutio-
nalisierten Kunstmarkt. Ein weiterer positiver Effekt von legalen Flächen sei die Arbeit ohne
Zeitdruck, wodurch qualitativ hochwertigere Bilder entstehen können.21
Aneignung von öffentlichen Räumen
Wie dargestellt, gibt es vielfältige Formen, sich in den ökonomisch und politisch vorstruk-
turierten Stadttext einzuschreiben. Dabei werden unterschiedliche, illegale sowie auch legale
Aneignungsstrategien sichtbar. Betrachtet man den offiziellen Stadttext und die eingeschränk-
ten Möglichkeiten der individuellen autorisierten Einschreibung, stellt sich die Frage: Wem
,,gehört“ der öffentliche Raum eigentlich?
Benjamin Etzold entwickelt zur Beschreibung der Aneignung öffentlicher Räume und
der damit verbundenen Machtverhältnisse ein analytisches Konzept, das auf Pierre Bourdieus
praxeologischer Raumkonzeption basiert.22 Bourdieu unterscheidet drei Raumkategorien:
den physischen, den sozialen und den angeeigneten physischen Raum. Der physische Raum
umfasst die räumlich-relationale Anordnung von physischen Gegenständen. Soziale Akteur*in-
nen nehmen als örtlich gebundene, ,,biologisch individuierte Körper“ darin einen konkreten
Platz ein. Diese Positionierung drückt sich etwa in der Privat- und Geschäftsadresse sowie in
Besitztümern (wie Gebäude oder Grundstücke) aus. Der soziale Raum besteht aus der ,,Anein-
anderreihung von sozialen Positionen“, die basierend auf der Verfügbarkeit von ökonomischem,
sozialem und kulturellem Kapital eingenommen werden. Nach Bourdieu spiegelt sich die
19 Vgl. Julia Reinecke: Street-Art, S. 173ff.
20 Vgl. Interview mit Sophia, 18.10.2018.
21 Vgl. Interview mit Georg, 17.10.2018.
22 Vgl. Benjamin Etzold: Die umkämpfte Stadt. Die alltägliche Aneignung öffentlicher Räume durch Straßenhän-
dler in Dhaka (Bangladesch). In: Andrej Holm, Dirk Gebhardt (Hg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie
und Praxis städtischer Aneignung. Hamburg 2011, S. 187-220, hier S. 192.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal