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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Hannah Konrad | Critical Mass 77
dahinter, auch ein Befriedigen meines Bedürfnisses, mal laut zu werden und zu sagen: He,
wir Radfahrer sind wichtig.“12
Während der Gespräche kommt immer wieder die Frage auf, warum in Graz im Gegensatz
zu anderen Städten eher weniger Personen an der Critical Mass teilnehmen. Das könnte zum
einen daran liegen, dass es sich um keine Großstadt handelt. Anna vermutet jedoch die Vielzahl
von Regulierungen in Graz als Ursache:
„Es könnte schon damit zu tun haben, dass Graz eine extrem geregelte Stadt ist. Du kriegst bis
ins kleinste Detail vorgeschrieben, was du darfst und was nicht. Ich glaube, dass dann freies
Denken oder freies Handeln (…) ziemlich schwierig sind für Leute. Also, dass es schwierig
ist für Leute, offen zu sein und zu sagen: Ich geh mal hin und schau dann mal.(…)“13
Raum als Resultat sozialer Praktiken
Aber zurück zur Forschungsfrage: Inwiefern transformiert die Critical Mass durch ihre alter-
native Straßennutzung diesen Straßenraum? Um der Beantwortung dieser Frage näher zu
kommen, scheint es sinnvoll, sich näher mit dem städtischen Raum und seiner Produktion
auseinanderzusetzen.
Henri Lefebvre stellt in seinem Werk The Production of Space fest: „(Social) space is a
(social) product.“14 Demnach kann Raum nicht nur materiell beschrieben werden, denn er ist
das Produkt konkreter sozialer Praktiken und gesellschaftlicher Konstruktionen. Als Resultat
aktiver Produktionsprozesse befindet sich Raum in ständiger Erneuerung und ist Ergebnis lau-
fender Debatten und Kämpfe.15
Der Kommunikationsdesigner und Mitarbeiter des Graffiti-Archivs der Jugendkulturen
e.V. Berlin Tobias Morawski beschäftigt sich mit urbanen Protestbewegungen in Berlin und
spricht von Aneignungskämpfen um den öffentlichen Raum. Demnach stehe die Produktion
von öffentlichem Raum im Spannungsfeld zwischen zwei großen Handlungsträgern: Staat und
Kapital sowie diesen untergeordneten gesellschaftlichen Gruppen. Diese beiden Seiten wür-
den jeweils versuchen, sich den öffentlichen Raum anzueignen. Natürlich spielen dabei ganz
unterschiedliche, oft gegensätzliche Interessen eine Rolle. Während staatliche und wirtschaft-
liche Gruppen Herrschaft durch und im Raum ausüben sowie die Schaffung eines kontrol-
lierbaren Raums anstreben, verfügen die anderen gesellschaftlichen Gruppen meist über nur
sehr beschränkte Machtressourcen, versuchen jedoch zum Teil, sich ihren Platz zu erkämpfen.16
Übertragen auf die Critical Mass bedeutet dies: Während die Bewegung die vorherrschende
Nutzung des Straßenraumes durch den motorisierten Verkehr kritisiert und durch ihre Aktion
versucht, einen Gegenraum zu schaffen, hat die Autolobby großes Interesse daran, dass der
motorisierte Individualverkehr seine Vorrangstellung behält.
12 Interview mit Emma, 01.18.18.
13 Interview mit Anna, 02.08.18.
14 Henri Lefebvre: The Production of Space. Oxford 2008, S. 26.
15 Christian Schmid: Henri Lefebvre und das Recht auf die Stadt. In: Andrej Holm, Dirk Gebhardt (Hg.), Initiati-
ven für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignungen. Hamburg 2011, S. 25- 53, hier S. 39.
16 Vgl. Tobias Morawski: Reclaim Your City. Urbane Protestbewegungen am Beispiel Berlins. Hamburg 2014, S.
41.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal