Seite - 78 - in >mcs_lab> - Mobile Culture Studies, Band 1/2020
Bild der Seite - 78 -
Text der Seite - 78 -
78 Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1
(2020)Hannah
Konrad | Critical Mass
Anna appelliert an die Grazer Stadtführung, gegen die hohe Luftverschmutzung vorzuge-
hen und weniger Autos in die Stadt zu lassen. Im folgenden Zitat geht sie auf die unterschied-
lichen Interessen der Ökonomie und der Bewohner*innen der Stadt ein. Aufgrund der hohen
Luftverschmutzung zieht sie in Erwägung, in eine andere Stadt zu ziehen:
„Am meisten am Herzen liegt mir, dass man die Stadt ein bisschen autofreier macht. (…) Ich
finde es bedenklich, dass man solche Luftwerte, also dass man einfach nicht sieht, dass das
eine Katastrophe ist. (…) Das verstehe ich absolut nicht, dass man das so ignorieren kann, weil
ich mir nach ein paar Jahren schon überlege, aufgrund dessen aus Graz wegzuziehen, weil es
einfach nicht gut sein kann (…). Ich weiß nicht, ob Graz da nicht ein bisschen zu wirtschaft-
lich [denkt], ob die Stadtführung nicht ein bisschen zu sehr darauf schaut, was Leute mit Geld
wollen, und nicht darauf, was gut für die Leute ist.“17
Die Aneignung von materiellem Raum
Morawski arbeitet mit dem Raummodell von Henri Lefebvre und legt es auf die Aneignung
von Raum um. Nach Lefebvres Modell setzt sich Raum aus den folgenden drei Bereichen
zusammen: Der Repräsentation des Raumes, den räumlichen Praktiken und den Räumen der
Repräsentation.18 Die Aneignung von Raum kann demnach ebenfalls auf drei verschiedene
Arten stattfinden. Zunächst beschreibt Morawski die Aneignung des Raumes als Kommunika-
tionsmittel, zum Beispiel mittels Street Art oder Graffities. Weiters nennt er die Aneignung der
Mittel, die den Raum repräsentieren. Zuletzt wird die Aneignung von physischem oder mate-
riellem Raum beschrieben, die zum Beispiel mittels Besetzungen, Blockaden oder Reclaim the
Streets-Parties stattfindet.19 Wenngleich Morawski die Critical Mass nicht erwähnt, lässt sie
sich in diese zuletzt genannte Kategorie einordnen, da während der direkten Aktion physischer
Raum angeeignet wird.
Physische Raumaneignung, das ist laut Morawski die temporäre oder dauerhafte Besetzung
von Räumen. In diesem Prozess werden Räume der behördlichen Kontrolle und den Verwer-
tungsinteressen der Marktwirtschaft entzogen, wodurch alternative Formen des Zusammen-
lebens möglich gemacht werden. Verbunden sei dies oftmals mit der Idee, nichtprivatisierte,
nichtkommerzielle soziale und kulturelle Räume zu schaffen. Diese beschreibt Morawski als
zentrale Orte des gesellschaftlichen Reichtums, also soziale Begegnungsräume, in denen die
Möglichkeit des Zugangs und der Nutzung nicht an ökonomische Kriterien gebunden ist.20
Auch hierbei können Parallelen zur Critical Mass gezogen werden: In Einladungen, Postern
oder Flugblättern wird oftmals betont, dass jede*r gleich willkommen und gleichberechtigt sei,
auch Teilnahmegebühren werden abgelehnt. In der Praxis bedeutet dies: Kinder, Senioren, Per-
sonen jeden Geschlechts und Alters sind bei einer Critical Mass anzutreffen, mit so genanntem
Freak-Bike, Mountainbike, Rennrad oder gar Skateboard.
17 Interview mit Anna, 02.08.18.
18 Vgl. Tobias Morawski: Reclaim Your City. Urbane Protestbewegungen am Beispiel Berlins. Hamburg 2014, S. 36.
19 Vgl. ebd., S. 46.
20 Vgl. ebd., S. 48.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal