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(2020)Hannah
Konrad | Critical Mass
alles, was geht, fährt oder sich bewegt, wurde als gleichwertig erachtet. Einzelne Personen stan-
den in dieser Regelung sogar im Vordergrund, das Parken im Straßenraum war zum Beispiel
verboten und wurde mit einem Geldbetrag von 10 bis 50 Gulden bestraft. Dass Fußgänger*in-
nen eine zumindest gleichberechtigte, wenn nicht bevorzugte Rolle im Straßenverkehr zukam,
zeigt auch eine Regelung, welche im Bundesgesetz und in der Wiener Straßenpolizeiordnung
vorkam und das Bespritzen von Fußgängern und Anrainern mit Straßenschmutz untersag-
te.24 Diese anfängliche Bevorzugung von Personen im Straßenraum in der Gesetzgebung sollte
jedoch nicht lange anhalten und musste dem Schutz des fließenden Fahrzeugverkehrs wei-
chen. In den Zwischenkriegsjahren erhoffte man sich, durch die KFZ-Produktion und den
modernen Güter- und Personenverkehr wirtschaftlichen Aufstieg zu erreichen, Bedürfnisse der
restlichen Verkehrsteilnehmer*innen – Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen – wurden
aufgrund ökonomisch überzeugender Argumente zunehmend in den Hintergrund gedrängt.
In der Reichsstraßenverkehrsordnung von 1934 wird Kraftfahrzeugen endgültig die Vorrang-
stellung eingeräumt.25 Im Zusammenhang mit den in der Reichsstraßenverkehrsordnung
bestimmten Regelungen muss auf die Straßenbau- und Motorisierungspolitik der National-
sozialisten eingegangen werden, welche sich durch großzügige Investitionen in den Bau von
Autobahnen und die Abschaffung der Kfz-Steuer auszeichnete und die Volksmotorisierung
zum Ziel hatte. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten gewann das Automobil erheb-
lich an Bedeutung, es wurde zum allgemein verständlichen Zeichen für die gesellschaftlichen
Veränderungen durch den politischen Systemwechsel. Erfolge der Firmen Daimler-Benz, Auto
Union oder Adler standen stellvertretend für den Aufschwung der gesamten Nation; die Auto-
symbolik wurde von der NS-Regierung genutzt, um das Bild vom politischen Systemwechsel
als nationalen Aufbruch zu transportieren. Die Automobilbranche wurde von Hitler wiederholt
als Schlüsselindustrie bezeichnet, von der Impulse für das gesamte Wirtschaftsleben ausgehen
sollten.26 Unter Hitler wurde das Auto zum Symbol für Fortschritt und Wirtschaftswachstum,
staatliche Investitionen in eine nationale Autoindustrie wurden getätigt – die Vorherrschaft des
Autos auf der Straße wurde gesichert, die Verkehrsteilnehmer*innen zunehmend hierarchisiert.
Heute ist die gesellschaftliche Zuschreibung der Straße als Verkehrsraum bzw. als Raum für
den motorisierten Verkehr vorherrschend.
Die Kritik der Akteur*innen am Straßenraum
Bei der Auswertung der Gespräche mit den Teilnehmer*innen der Critical Mass konnte fest-
gestellt werden, dass die Akteur*innen jeden der drei beschriebenen Aspekte des Straßenraumes
kritisieren.
Die Repräsentationskritik tritt da zutage, wenn die konventionelle Nutzung der Straße als
Verkehrsstraße für den motorisierten Verkehr in der Stadt oder auch die Symbolik des Autos als
Freiheitssymbol hinterfragt wird:
24 Vgl. Angelika Psenner: Wem gehört die Straße? Genealogie der Nutzerrechte in Wiens Straßen. In: SWS- Rund-
schau (53. Jg.) Heft 2/2013, S. 131-159, hier S. 142.
25 Vgl. ebd.
26 Vgl. Gregor M. Rinn: Das Automobil als nationales Identifikationssymbol. Zur politischen Bedeutungsprägung
des Kraftfahrzeuges in Modernitätskonzeptionen des „Dritten Reichs“ und der Bundesrepublik. Berlin 2008, S.
30ff.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal