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(2020)Hannah
Konrad | Critical Mass
Auch der erlebte Straßenraum wird kritisiert, wenn konkrete alternative Nutzungsweisen
der Verkehrsstraße angesprochen oder bestehende Praktiken hinterfragt werden:
„Warum soll man nicht Fußballspielen auf der Grazbachgasse? Oder Tennis? Oder Ska-
ten?“35
„Es gibt viele Beispiele, wo man Parkplätze einsparen kann und stattdessen den Platz besser
nutzen kann.“36
„Es wird von unten eigentlich eh vorgelebt, dass das Auto in der Stadt nicht notwendig ist. Die
meisten Transporte kann man mit dem Lastenrad machen. Man kann bis zu 300kg mit dem
Lastenrad transportieren. (…) Selbst Größeres kann man mit einem Elektrolastenrad trans-
portieren. Einen Anhänger dranhängen (…), es gibt eh viele Möglichkeiten.“37
Die Straßenraumaneignung durch die Critical Mass
Diese Kritik am Straßenraum führt schließlich zur Teilnahme an der Critical Mass und somit
zur Aneignung und Veränderung des gebauten Straßenraumes durch die Fahrräder. Über die
materialisierte Ideologie des gebauten Straßenraumes, damit sind Fahrspuren, rote Ampeln
usw. gemeint, wird sich zum Teil und anhand konkreter Verhaltensvorschläge hinweggesetzt.
Der erlebte Straßenraum fungiert als Bühne der Aktion bzw. der Akteur*innen. Er wird durch
die Aneignung des gebauten Raumes mittels der Fahrräder temporär zwingend verändert: Für
die Radfahrer*innen, die nun mehr Raum einnehmen, sich freier bewegen dürfen und dabei
sichtlich Spaß haben; für die motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen, die dazu gezwungen
werden, ein langsameres Tempo einzunehmen und oftmals verärgert und frustriert über das
Geschehen sind; aber auch für die Fußgänger*innen und Bewohner*innen, die ein verändertes
Straßengeschehen vorfinden, auch in Bezug auf die Geräuschkulisse. Schließlich bleibt nur
noch der Repräsentationsraum der Straße übrig, der die gesellschaftlichen und historischen
Zuschreibungen der Straße beinhaltet und Bereich des ideologisch geleiteten Handelns ist.
Während die beiden anderen Raumaspekte durch die Critical Mass temporär transformiert
werden, scheint hier keine sofortige Veränderung möglich zu sein. Da die drei Raumaspekte
jedoch in einem ständigen dynamischen Bezug zueinanderstehen, muss die Transformation die-
ses Bereiches als langfristiger Prozess wahrgenommen werden. Kurzfristig vermag die Critical
Mass kaum etwas gegen die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs im Straßenraum
ausrichten zu können. Dennoch schafft die Präsenz im Raum, wie auch Morawski feststellt,
eine gute Ausgangslage für die öffentlichkeitswirksame Kommunikation von Protest und somit
auch für die Aneignung der symbolischen Ebene des Raums.38 Außerdem gilt es zu hinterfra-
gen, inwiefern die Veränderung des Repräsentationsraumes überhaupt als vorrangiges Ziel der
35 Interview mit Alex, 04.09.18.
36 Interview mit Emma, 01.08.18.
37 Interview mit Emil, 01.08.18.
38 Vgl. Tobias Morawski: Reclaim your City. Urbane Protestbewegungen am Beispiel Berlins. Hamburg 2014, S.
48.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal