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Joachim Schlör | Die Schiffsreise als Übergangserfahrung in Migrationsprozessen
der zurück) bei Bronislaw Malinowski und claude Lévi-Strauss und schreibt damit ein
Stück maritimer Wissenschaftsgeschichte, bevor er sich mit den daraus gewonnenen fra-
gen den konkreten Beispielen der Emigration aus Italien nach Argentinien zuwendet.31
Ursula feldkamp vom Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven, die zum Thema
„frauen auf frachtsegelschiffen in autobiografischen Quellen 1850-1939” promoviert
wurde, wertet Bordtagebücher und andere autobiografischen Quellen von Migran-
tinnen aus der Zeit von Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts aus und führt damit
eine Genderperspektive ein, die in der maritimen Geschichte nach wie vor selten ist.
Sabine August arbeitete am Appenzeller Volkskunde-Museum in Stein und hat dort eine
Ausstellung „Von Not und freiheit – Appenzeller Auswanderung” kuratiert, in der Motive
und Erfahrungen von Emigrationswilligen aus dieser Region nachgezeichnet wurden.
Ihr Beitrag handelt vom „Auswanderungsverhalten und –erleben” als einem vielschich-
tigen Prozess zwischen dem Verlassen „der bekannten und vertrauten Lebenswirklich-
keit und dem Übertritt in ein unbekanntes Territorium mit fremden Regeln und Geset-
zen”; wie sie schreibt, wurden in den ihr zur Verfügung stehenden Quellen die Zeiten des
Übergangs nur wenig thematisiert und die Seereise als „Mittel zum Zweck” erinnert, als
nötige und oft beschwerliche „Bewegungsrichtung von einem Ort der Unfreiheit, der
Armut, der Enge und des schmerzvollen Abschieds hin zu einem Ort der Sehnsucht”.
Elisabeth Janik vom Doktoratskolleg Galizien an der Universität Wien wertet die verschriftlich-
ten Erinnerungen polnischer Migranten und Migrantinnnen der Jahre 1880-1914 aus, die das
Sozial-Wirtschaftsinstitut in Warschau 1939 herausgegeben hat. In diesem bisher noch unbear-
beiteten Quellenkorpus findet sie Belege für die These, „dass für viele Auswandererinnen und
Auswanderer das Schiff zu einem Ort wurde, auf dem sie ihren Emotionen im besonderen
Maße ausgesetzt waren und der sie zu Reflexionen über ihre eigene Situation anregte”. Mit
Erving Goffman wird hier das Schiff als „totale“ und in sich geschlossene Institution betrachtet.
Dieses Schiff, Ort der handlung und Vermittler zwischen den Kontinenten, ist auch der
Gegenstand zweier medialer Repräsentationen der maritimen Migrationserfahrung, ein-
mal in der wortlosen Graphic Novell „Ein anderes Land“ des australischen Zeichners Shaun
Tan, zum anderen in dem Zeichentrickfilms „An American Tail“ (zu Deutsch „feivel, der
Mauswanderer“), mit denen sich Anja fuchs und Robin Klengel, beide Magistranden am
Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz, beschäftigen. Mit
ihrem Beitrag ist das Thema der Erinnerung und der medialen Repräsentation von Migra-
tionserfahrungen angesprochen, ein durchaus (bisher vor allem) amerikanisches Thema.32
Viele Emigrantinnen und Emigranten aus Osteuropa und dem Russischen Reich (darin
bis 1918 eingeschlossen auch Polen) wandten sich in diesen Jahren nach Südamerika, vor
allem nach Argentinien. Von der Reise österreichisch-jüdischer Emigranten nach Argen-
tinien berichtet Philipp Mettauer (Institut für jüdische Geschichte Österreichs), seine
Quellen hierfür sind einerseits Interviews mit Menschen, „die bei ihrer erzwungenen Emi-
gration Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene waren”, andererseits Briefe von deren
31 Vgl. auch Schneider, Arnd. 2000. Futures Lost: Nostalgia and Identity among Italian Immigrants in Argentina.
(Bern etc.: Peter Lang)
32 Vgl. dazu auch Kriebernegg, Ulla, Gerald Lamprecht, Roberta Maierhofer und Andrea Strutz (hsg.) 2012. »Nach
Amerika nämlich!« Jüdische Migrationen in die Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert (Göttingen: Wallstein
Verlag)
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal