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64 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts
gezwungen. Die Passagiere waren inzwischen ausnahmslos seekrank und völlig erschöpft von
den Stößen des Schiffes und auch vor Angst. Noch bevor das Schiff die See erreichte, wurde ein
Matrose über Bord gespült. Die Übelkeit und depressive Verfassung der Passagiere durch die
Seekrankheit hatte ihren höhepunkt erreicht. caroline befiel die furcht, dass sie ihre Angehö-
rigen nie wieder sehen werde, zumal das Wetter schlecht blieb.
„Den 19ten, als wir hier auch so elend her saßen, es war 11 Uhr des Morgens, M. de Bl.
hatte sich eben abgearbeitet zu Brechen, wenn es nur gewollt hätte; Ich konnte es nicht, da
ich wie gewöhnlich noch gar nichts genossen hatte, aber zum Sterben übel und elend war
mir zu Muthe. Da sagte meine Gefährtin: ‚Nein, ich gehe wenn’s möglich ist ein wenig
hinauf, vielleicht ist es da etwas besser‘, so komme ich gleich nach, sag’ ich darauf, setze
meinen hut auf und ziehe handschuhe an, während dieser Beschäftigung höre ich oben
ein schreckliches prasseln und brausen, als wenn die See über Bord stürzt, frage ängstlich,
was ist das und heißler läuft hinauf um zuzusehen, indem kommt schon der capt. und der
Steuermann ganz eilig um Essig zu holen, auf alle meine fragen erhalte ich keine Antwort,
sie laufen fort und wie ich im Nacheilen noch den cajütwächter frage, so sagt er: ‚O, es
ist nichts, die Madam hat etwas gekriegt.‘ – Gott im himmel! Ich denke sie hat Arm oder
Bein gebrochen im fallen. Wie ich die Treppe hinauf kam, das weiß ich nicht! Da fand
ich sie denn ganz triefend von Nässe, so wie das ganze Verdeck, wo sie sich eben auf einer
Bank sitzend in den Armen des capt. und einiger Matrosen von einer kleinen Ohnmacht
erholte, welche ihr der Schreck wegen der Überschwemmung zugezogen hatte. Wie sie sich
eben oben hingesetzt hatte, so kommt ein schrecklicher Stoß von einer Welle, den ich auch
unten gefühlt hatte, wodurch sie von dem Sitz gegen den Rand des Schiffes geschleudert
wurde: zum Glück steht ein Matrose da, woran sie sich mit allen Kräften hält (…). Noch
oft kamen den Tag über ähnliche Überströmungen und wir wagten es nicht wieder hinauf
zu gehen. Den Abend waren wir ganz caputt und wünschten muthlos: Ach, wenn doch
Gott uns einen Tag Erholung schenkte, wenn diese hohe See doch endlich einmal ruhiger
flösse!“ (30)
hinzu kam die ständige Bedrohung durch Kaperer. Jedes Schiff, das in Sicht kam, wurde
ängstlich beobachtet. Doch nur einmal enterten Offiziere eines englischen Schiffes die „Bata-
via“ und kontrollierten die Schiffspapiere, die fracht und die Passagiere. caroline legte sich vol-
ler Angst in die Koje, nahm „an Kostbarkeit und Sachen, die uns lieb sind mit, was ich bergen
konnte. (…) ach, was ist doch der Mensch, besonders ein frauenzimmer, in solchen Augenblik-
ken klein und ohnmächtig!“ klagt sie. Ihre Uhren hatten die frauen den Matrosen zur Aufbe-
wahrung gegeben. Während ihre „Gefährtin“, Madame de Block, auf Anraten des Kapitäns im
Salon der Kajüte auf dem canapé saß, verfolgte caroline das Gespräch zwischen dem Kapitän
und den fremden „in meiner kleinen Alkove hinter der Gardine.“ (11) Der Kapitän inszenierte
die Situation planvoll, um die frauen zu schützen. Madame de Block als Kaufmannsfrau und
der Kapitän der neutralen „Batavia“ traten in Erscheinung, weil sie für den wirtschaftlichen
Aspekt der Reise standen, die auch im Interesse der kriegführenden Parteien stand. caroline
von Aschen konnte als Begleiterin leichter zur Beute werden und musste sich versteckt halten.
Doch alles ging glimpflich ab. Die Szene zeigt, in welcher Gefahr gerade die frauen schwebten,
wenn ein Schiff zwischen die fronten geriet. Sie konnten vergewaltigt werden und ihr Leben
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal