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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts 69
ratet, wie den retrospektiven
Einträgen über das vergan-
gene Leben der Schreibers
zu entnehmen ist. Berufs-
tätigkeit jeglicher Art kam
für bürgerliche Mädchen
und frauen nicht in frage,
sondern wurde gleichgesetzt
mit sozialem Abstieg. Die
Eltern der Schreibers hatten
den Geschwistern eine Reise
1. Klasse finanziert, und
charlotte zeigt sich in ihren
Einträgen ihnen gegenüber
sehr dankbar für die Aus-
stattung, die sie ihnen
gewährt hatten.
Ludwig Schreiber, alias
henry Louis Schreiber,
blieb nach seiner Ankunft
in Amerika zunächst in
Moorefield, ließ sich jedoch
später als Kaufmann in chicago nieder, wo er 1861 im Alter von 35 Jahren die Niederländerin
hermanna Keun aus Groningen heiratete. Von charlotte Schreiber ist nur das Datum ihres
Todes, 2. Januar 1879, bekannt. Von Ludwig und hermanna gibt es ein gemeinsames Porträt,
von charlotte bezeichnenderweise nicht. conrad Ludwig Schreiber, der Vater der Geschwister,
siedelte 1856 nach Moorefield über, wo er nach wenigen Monaten starb.
Während Ludwig einen gewissen Wohlstand erlangte und heiratete, blieb charlotte abhän-
gig. Sie war in erster Linie mit nach Amerika gereist, um den Eltern in Quakenbrück eine
Esserin zu ersparen. Ihr Vormund war nach dem Willen der Eltern nun der um elf Jahre jüngere
Ludwig. Ob sie seiner familie den haushalt führte, zu einem ihrer Brüder übersiedelte oder ob
sie in Amerika erwerbstätig wurde, bleibt im Dunkeln.
Wie caroline von Aschen, so schrieben auch die Schreibers ihr Bordtagebuch als Brief, um
es mit dem nächsten Schiff nach Bremen zurückzuschicken. Das Original trägt eine Emp-
fangsnotiz des Kapitäns der „Goethe“, der das Buch – wie auch die Schreibers im Tagebuch
vermerken - auf seiner Rückreise mitnahm. Die Geschwister schrieben im Wechsel, wobei die
meisten Einträge von Ludwig Schreiber stammen. Während Ludwig eine klare, gut leserliche
handschrift hat, merkt man charlottes Einträgen den Mangel an Übung an. Die Sprache der
beiden zeigt deutlich plattdeutsche Diktion, inhaltlich vermittelt charlotte eher aktuelle Ereig-
nisse, während sich Ludwig darum bemühte, den Eltern auch die Einrichtungen des Schiffes
und die Bordgemeinschaft auf dem Schiff möglichst genau zu schildern. So gesehen ist dieses
Tagebuch ein Glücksfall für die Migrationsgeschichte des 19. Jahrhunderts mit Segelschiffen,
denn Schilderungen zum Leben der Zwischendeckspassagiere sind rar. Doch weisen die Dar-
Abb 4. Ludwig Schreiber mit Ehefrau
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal