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78 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts
Das Eigene und das Fremde
Da Bordtagebücher erst dann in die heimat geschickt wurden, wenn ein Segler zurückfuhr,
enthalten sie oft erste Eindrücke der fremde, so auch hier: Nach allem was im Tagebuch über
die Lebensverhältnisse der Geschwister Schreiber zu erfahren ist, hatten sie vor ihrer Auswan-
derung den heimatort Quakenbrück nie verlassen. Dies hinderte sie aber nicht daran, den
Daheimgebliebenen Orte und Unterkünfte, die sie während ihrer Reise aufsuchten, in ihren
Schilderungen allgemeingültig zu bewerten. So geraten die Bremer Wallanlagen mit ihren
„prachtvollen Spaziergängen“ zu den schönsten Deutschlands. Die großen Kaufmannsvillen
nennt Ludwig Schreiber „Paläste“ und glaubt: „Kein König hat prachtvollere Gebäude.“ (20)
In seine Bewunderung mischt sich auch Kritik, und so nennt er diesen Luxus eine „Narrheit“,
denn „wenn man seine Bequemlichkeit hat, mehr bedarf es doch nicht.“ (20) Innerhalb der
Stadt hingegen hat Bremen „nichts angenehmes aufzuzeigen als enge, schmale die Nase belei-
digende Straßen.“ (20) Lob und Tadel wechseln einander ab. Das Wirtshaus in Wildeshausen,
in dem die Schreibers auf ihrer fahrt im „Omnibus“ halt machten, nennt Ludwig eine „wahre
Sauherberge“ mit einer Wirtin „so dick wie lang“ (20), während er die Einrichtung der Kajüte
des Schiffes „niedlich“ findet und glaubt, dass die Geschwister „es hier so gut haben als in
einem der besten Wirtshause Deutschlands.“
Wenn caroline von Aschen die Naturschönheiten der Umgebung Baltimores beschreibt,
meint sie, dass es weder in Bremen noch in Europa so schön sein kann: „O, die Menschen
könnten hier so manchen Genuß haben, den wir in Europa mit allen Schätzen nicht erkaufen
können.“ (52) Auch caroline ist vermutlich kaum über ihre Vaterstadt je hinausgekommen
charlottes und Ludwigs Schilderungen der schwarzen Bevölkerung in Amerika lassen dar-
auf schließen, dass sie nie zuvor mit diesen Menschen in Berührung gekommen waren.
„All die Reichen Leute haben schwarze Bedienung, man sieht oft so häßliche Wärter-
innnen mit so niedlichen Kindern spatzieren, daß mich wundert, daß die kleinen vor so
eine häßliche Negerschnute nicht Angst werden. Die Negerinnen haben sich recht bunt
gekleidet, haben recht weiße Wäsche an und oft die schönsten weiß seidenen hüte auf, hu
es sieht ecklig aus (…)“. Die schwarzen Kinder vergleicht sie mit „kleinen ammericanischen
ferkelchen“. (171)
Ganz offensichtlich sprach charlotte den „Negern“ menschliche Attribute ab und fand sie in
ihrer fremdheit „komisch“. Dass man ihnen kleine Kinder anvertraute, erschien charlotte kaum
fassbar. Zwar sagt sie auch über die Auswanderer im Zwischendeck: „Oh es sind Schweine!“,
doch knüpft sich daran eine Verhaltenskritik, was voraussetzt, dass sie diesen Menschen einen
gewissen Intellekt einräumte. Die Bezeichnung der schwarzen Kinder als „ferckelchen“ hinge-
gen legt kein Bewusstsein, sondern nur einen handlungsinstinkt nahe. Schwarze Menschen
waren für sie bestenfalls unterhaltend.
für caroline waren sie kein fremder Anblick. Bereits zu Beginn ihrer Reise erwähnt caro-
line den „Mohren“ von Madame de Block, der auf das Schiff geschickt wurde, um auf die
Sachen der beiden frauen aufzupassen. (3) Auch spricht sie in ihrem Tagebuch die Absicht ihrer
Gastgeberin an, eine Sklavin zu kaufen:
„heute den 6ten, wo ich dies nachmittags 3 Uhr schreibe, habe ich schon am Morgen die
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal