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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Sabine August | Schweizer auf dem Weg nach Amerika 99
Mich zum ersten Mal die Sonne,
An der Mutter Brüsten fand.
Bleibt zurück, ihr vielen Schmerzen.
folget mir nicht über Meer,
Aber folgt mir, treue herzen,
Nur ihr macht mein herz noch schwer.“
(anonym 1806, in: Schelbert und Rappolt 2009: 186)
In diesen Versen wird das Gefühl des Schwebezustands, des Übergangs thematisiert und spür-
bar: einerseits die freude auf das Kommende und andererseits der Rückblick auf die Vergan-
genheit, die mit schwermütigen Gefühlen verbunden ist.
Überdruss
Spätestens nach zehn Wochen begann der Überdruss, weil man an „allen Gebrechen» litt.
Der Vorrat an Lebensmitteln ging zur Neige und wurde immer stärker rationiert. Darüber
hinaus haben einige mit Depressionen reagiert: „Kein Spiel wurde mehr angefangen, kein Lied
mehr angestimmt; traurig gieng man umher und warf schüchterne Blicke auf das ausgestrekte
Windfähnlein.“ (anonym 1806, in Schelbert & Rappolt 2009: 190f) Am schlimmsten aber muss
die Seekrankheit gewesen sein, die ausnahmslos alle Auswanderer erfasst haben dürfte. Der
anonyme Verfasser von 1848 beschreibt die verzweifelte Lage wortgewaltig und eindrücklich:
„Noch sahen wir die Küste ganz genau, als bereits die Seekrankheit den größten Theil der
Passagiere ergriff. Das Elend zu beschreiben bin ich nicht im Stande. Während die Einen
krank waren, lachten und schrien die Andern, um unversehens selbst davon ergriffen zu
werden. Das Schiff glich schon in der ersten Stunde einem Lazareth, nur waren keine Kran-
kenwärter, und keiner hatte Mitleiden mit dem Andern. … Überhaupt macht man sich
einen viel zu geringen Begriff hievon. So elend und erbärmlich war mir in meinem ganzen
Leben noch nie, und dieser Zustand dauerte bei uns mit abwechselnd bessern Augenbli-
cken und sogar Tagen bei 12 Tage lang. … Nach und nach wurde die See immer wilder und
stürmischer, wie die Leute immer wüster und frecher, bis Donnerstag den 5. Oktober ein
furchtbarer Sturm losbrach, der die frechen Mäuler stumm und die herzhaftesten verzagt
machte. … Kein Mensch auf dem Lande kann sich vorstellen, wie es Einem zu Muthe ist,
wenn die See hoch geht, wenn Alles taumelt wie die Trunkenen und das Schiff sich von
einer Seite auf die andere legt. … Dreimal verließ ich, als der Sturm seinen höchsten Grad
erreicht hatte, die Kajüte, um die herrlichkeit des herrn im Sturme zu erblicken, aber
jedesmal wurde mir übel vor Grauen, wenn unser Schiff in die Tiefe fuhr und dann ein
schwarzer Berg auf das Schiff zukommend uns zu verschlingen drohte.“
Die Schiffsleute pflegten diesen Sturm eine „böse See“ zu nennen. (anonym 1848, in Schelbert
& Rappolt 2009: 203f.)
Trotz einiger beobachteter Naturschönheiten und auch wenigen Momenten ruhiger See
kann beispielsweise Samuel Mori 1885 dem Meer nichts Positives abgewinnen: „ [So] fand ich
das Meer wüst. Dieses ewige Rauschen und Tosen kam mir auf die Nerven.“ (Samuel Mori
1885, in: Schelbert & Rappolt 2009: 227)
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal