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110 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Elisabeth Janik | Reiseerfahrungen polnischer MigrantInnen
und übernahm teilweise auch die Kosten für die Überfahrt. (Mazurek 2006, 27ff.) Neben der
förderung der eigenen Wirtschaft ging es in beiden Ländern auch darum, die innere Koloni-
sierung des Staatsgebiets voranzutreiben, entlegene Provinzen zu bevölkern und dadurch auch
zu entwickeln. Diese Gebiete befanden sich zumeist an den Grenzen zu den jeweiligen Nach-
barländern. Daher kam der Besiedlung auch eine strategische funktion bei der Grenzsicherung
zu. (Prutsch 2001, 2006)
Der Großteil der Auswanderinnen und Auswanderer aus Österreich-Ungarn, dem Russi-
schen Reich und Preußen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts auf den Weg nach Südame-
rika machten, waren Bauern, Arbeiter und handwerker. Sie waren, wie Adam Walaszek (2009)
es treffend am Beispiel der Auswanderung nach Nordamerika formulierte, auf der „Suche nach
Brot“ („migracja za chlebem“). Nicht selten zwangen ethnische Konflikte Teile der Bevölke-
rung Ostmitteleuropas auszuwandern. Dies galt im Besonderen für die jüdische Bevölkerung.
In der Regel waren es jedoch die schwierigen ökonomischen Verhältnisse, die die Auswande-
rinnen und Auswanderer zwangen, ihre Städtchen und Dörfer zu verlassen. Ein großer Teil
der Bevölkerung war arbeitslos oder verdiente so wenig, dass es nur mit Mühe zum täglichen
Überleben reichte. Armut und Perspektivlosigkeit prägten den Lebensalltag. Insbesondere für
junge Menschen gab es kaum Perspektiven, was nicht zuletzt an den schlechten und unvor-
teilhaften Erbrechtsbedingungen sowie der Aufteilung des Bodens lag. (caro 1909) Auch der
rasante Anstieg der Bevölkerungszahlen in Osteuropa wirkte sich negativ auf die ökonomische
und gesellschaftliche Entwicklung aus. (Bartal 1999) für die meisten Auswandernden waren
jedoch die Visionen einer besseren Zukunft für die Auswanderung vorrangig.
Das Schiff als Lebenswelt
Bevor die Migrantinnen und Migranten jedoch an ihren endgültigen Destinationen ankamen,
mussten sie eine mehrwöchige Reise auf sich nehmen. Diese Reise führte sie über verschiedene
Transitstationen in die großen europäischen hafenstädte. Eine für die osteuropäische Trans-
atlantikwanderung bedeutende Transitstation war beispielsweise die Grenzstadt Myslowitz auf
preußischer Seite am so genannten Dreikaisereck, wo die Grenzen des Russischen Reiches und
Österreich-Ungarns zusammentrafen. Zu den hochzeiten der Massenauswanderung passier-
ten hier täglich mehrere hundert Menschen die Grenze, um in hafenstädte zu gelangen. Zu
den am stärksten frequentierten häfen zählten vor allem die norddeutschen Städte hamburg,
Bremen und Bremerhaven, wobei jedoch auch die Mittelmeerhäfen Triest, Genua und fiume
von Migrantinnen und Migranten aus Osteuropa genutzt wurden. Dort angekommen, bestie-
gen sie erst einige Tage oder Wochen nach ihrer Ankunft die Dampfschiffe, die sie dann an
ihren gewünschten Zielhafen bringen sollten. Die Überfahrt von Europa in die Amerikas war
somit Teil einer sich über mehrere Stationen und Orte erstreckenden Reise. Auch wenn die
zahlreichen Auswanderinnen und Auswanderer während des Wanderungsprozesses durchaus
unterschiedliche Transportmittel nutzten, war das Schiff am eindrucksvollsten - nicht nur auf
Grund seiner schieren Größe, sondern auch, weil mit ihm eine ganze, in sich geschlossene
Lebenswelt wochenlang den Ozean überqueren würde.
Auf dem Schiff galten nicht nur bestimmte Verhaltensregeln, sondern auch festgeschrie-
bene hierarchien: So war die gesamte Besatzung auf dem Schiff hierarchisch gegliedert. (Klu-
das 1993) Die Anordnung der Besatzung orientierte sich durchaus am militärischen Vorbild.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal