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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Elisabeth Janik | Reiseerfahrungen polnischer MigrantInnen 115
Lesbarkeit der Erinnerungen wurden lediglich die orthographischen fehler durch die heraus-
geber berichtigt. (IGS 1939, 13)
Zentrale Motive bei der Schilderung der Überfahrt in den Pamiętniki aus Südamerika waren
Berichte über die Seekrankheit, Stürme und Gewitter. Dabei standen einerseits der Schrecken,
der durch die tosenden Gewitter ausgelöst wurde, andererseits die pure Angst vor dem Tod
auf hoher See im Vordergrund. Neben individuellen Eindrücken und Emotionen wurden die
Erfahrungen auch politisch gedeutet. Einige dieser Erinnerungen an die Überfahrt und vor
allem das Verlassen des europäischen Kontinents wurden in die zeitgenössischen nationalen
Diskurse eingeordnet. für sie schien die Zugehörigkeit zu Polen, auch wenn es Polen zu der Zeit
nicht als unabhängigen Staat gab, besonders wichtig. Sie identifizierten sich mit der „Ojczyzna
– Polska“ (Vaterland – Polen) und empfanden sich in der ferne als Teil davon. Dies äußerte sich
durch ihre gemeinsame herkunft, durch gemeinsame Erfahrungen und Traditionen.
Die polnische Auswanderung nach Südamerika war sehr eng mit der Gründung von Kolo-
nien verbunden. Zumeist siedelten sich die Einwanderinnen und Einwanderer in ethnisch
homogenen Kolonien an. Dies hatte zur folge, dass die Bedeutung der polnischen Nation bzw.
des Polentums in der fremde eher zu- als abnahm. In vielen Kolonien in Südamerika bildete
sich rasch eine aktive polnische community (Polonia) heraus, die nicht nur den Kontakt in
die heimat pflegte, sondern sich zunehmend vor Ort vernetzte und organisierte. (Kula 1981)
Michał Starczewski (2012, 4ff.) kommt in seiner Studie zur polnisch-bäuerlichen Identität zu
dem Schluss, dass insbesondere die Autoren der Pamiętniki eine starke emotionale Identifika-
tion mit dem Polentum besaßen. Ein wichtiges identitätsstiftendes Merkmal bildete für ihn die
Sprache. (2012, 5) Es entstanden zahlreiche polnische Zeitungen in Südamerika, die sich aus-
schließlich an die polnische community richteten.4 für sie alle bot die Zeitungslandschaft ein
fenster in ihre alte heimat und bot zudem eine Stütze für die eigene Identität. Darüber hinaus
wurde die polskość („das Polentum“) durch polnischsprachige Vereine und teilweise auch durch
polnische Schulen in Südamerika gepflegt.
In der Zwischenkriegszeit waren bereits zahlreiche polnischsprachige Institutionen in Süd-
amerika etabliert, sodass die Erinnerungen der Auswanderinnen und Auswanderer auch vor
diesem hintergrund gelesen werden müssen. (Starczewski 2012, 5) Der Austausch zwischen
beiden Polen und seiner Diaspora konnte trotz der weiten Entfernung gewährleistet werden.
Erinnerungen aus Südamerika
Als der Verfasser der Erinnerungen Nr. 4 seine Aufzeichnungen an das IGS in Warschau 1936
schrieb, lebte er in Buenos Aires und arbeitete als Mechaniker. Geboren wurde er 1879 in der
Nähe von Tarnopol in Ostgalizien (heute Ukraine). Seine Erinnerungen beginnen mit eini-
gen allgemeinen Angaben zu seiner familie, seiner Ausbildung sowie seinen damaligen und
gegenwärtigen Arbeitgebern. Er berichtete, dass er nach einiger Zeit gemeinsam mit seinen
Arbeitskollegen den Entschluss fasste, nach Südamerika auszuwandern. Die jungen Männer
wollten sich dem zu noch leistenden Wehrdienst entziehen. Sie schworen einander, dass sie
4 Im Verlauf des 19. und beginnendem 20. Jahrhunderts bildeten sich durch den Einfluss der zahlreichen aus den
polnischen Gebieten stammenden Einwanderinnen und Einwanderer verschiedene Zeitungen in Südamerika
heraus, die sich ausschließlich an die spezifische Einwanderergruppe richtete. So gab u.a. die Zeitung Polak w
Brazylii („Der Pole in Brasilien“) oder auch den Kurier Polski w Argentynie („polnischer Kurier in Argentinien“)
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal