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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Elisabeth Janik | Reiseerfahrungen polnischer MigrantInnen 117
„Mit anzusehen wie sie fuhren, schmerzte mein herz, wie Vieh lagen sie da. Zu der Zeit
gab es noch keine getrennten Kabinen, man packte sie [die Passagiere] in den untersten
Teil des Schiffes in einen riesigen Saal ohne Betten, sie schliefen auf eisernem Boden nur
mit kleinen Decken aus Stroh bedeckt. Männer, frauen und Kinder zusammen. Nach
drei Tagen beruhigte sich das Wetter, aber unsere Leute in ihrer Verzweiflung zu sehen,
schmerzte mein herz, einige frauen wollten sich ins Meer stürzen.“ (IGS 1939, 31)
Die Umstände der Überfahrt beschrieb der Autor als äußerst miserabel. für ihn waren die
Bedingungen, denen die Zwischendeckspassagiere für die Dauer der Überfahrt ausgesetzt
waren menschenunwürdig. Ein Gewitter oder Sturm auf hoher See verschlimmerte die Situa-
tion der Passagiere in dem dichtgedrängten Raum noch. Panik, Angst und Verzweiflung waren
hier die treibenden Kräfte. Die Abgeschlossenheit des begrenzten Raumes auf dem Schiff
führte zu diesen extremen Empfindungen, die im Besonderen durch die Witterung verstärkt
wurden. Die Ausführungen von Goffmann über das Schiff lassen sich an diesem Beispiel gut
nachvollziehen.
Im weiteren Verlauf seiner Schilderungen geht er auch auf bessere, schöne Zeiten auf dem
Schiff ein. So schreibt er:
„Es kamen aber auch heitere Zeiten, Menschen amüsierten sich und vergaßen für einen
Moment die schweren Tage des Sturmes, langsam kommt der Tag, an dem wir uns dem
berühmten hafen in Argentinien, Buenos Aires näherten. Nun nähert sich der Tag 24.
Juni 1902 [und man] sah von weitem Porto Grato Buenos Aires, am selben Tag um 11:30
Uhr fuhr unser Schiff La Plata in den hafen, nach Erledigungen der bürokratischen Ange-
legenheiten, setzte man uns alle ohne Berücksichtigung von gesellschaftlicher Stellung im
Auswandererhaus ab […]“. (IGS 1939, 31)
Das Beispiel zeigt, dass die Überfahrt durchaus angenehme Momente hatte. Er berichtet in
diesem Zusammenhang von festen, vor allem aber von einer Zeit der Ruhe und des friedens.
Leider erfahren wir nicht, wie diese feste oder Augenblicke der Ruhe aussahen. Darüber hin-
aus gab es keine weiteren Schilderungen, wie der Alltag an Bord ausgesehen hat. Besondere
Aufmerksamkeit erfuhr die Ankunft in der hafenstadt in seinen Schilderungen. Es war der
Moment, nach dem sich wohl alle Passagiere gesehnt hatten. Seine Erinnerungen sind mit der
Ankunft in Buenos Aires noch nicht beendet. Im weiteren Verlauf schildert er seine fahrt nach
Mendoza und berichtet, wie er sein Leben in Argentinien aufbaute.
Die Erinnerungen Nummer 4 haben deutlich gemacht, wie eng sich die mehrwöchige
Überfahrt mit verschiedensten Ängsten verband. Die Beschreibungen sind auch hier sehr emo-
tional und erwecken beim Leser direktes Mitleid. Auch wenn seine Ausführungen sehr drama-
tisch wirkten, waren sie nicht weit weg von der Realität, denn insbesondere für die Passagiere
des Zwischendecks waren die Reisebedingungen hart. Sie schliefen in überfüllten Räumen und
hatten kaum Privatsphäre. (Walaszek 1995, 65ff,) Darüber hinaus befanden sich die Kabinen
der Zwischendeckpassagiere auf den unteren Ebenen des Schiffes, was zur folge hatte, dass bei
starkem Wind und heftigem Sturm die Wellen an den Bullaugen aufpeitschten und bei im
Inneren des Schiffs Angst und Schrecken auslösen konnten.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal