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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
Anja Fuchs und Robin Klengel | “There are no cats in America” 139
des Davor Auflösung findet, ehe dann die erneute Angliederung am Ankunftsort erfolgt. Es
stellen sich die fragen, was auf dem Schiff vor sich geht, inwiefern sich damit ein Wandel
einstellt und was in der Zeit zwischen den beiden Orten, den beiden Gesellschaften und somit
auch zwischen den Strukturen passiert. Der Übergang erfolgt sowohl sinnbildlich auch tatsäch-
lich physisch, der Gang auf das Schiff bedeutet den Abschied von den gewohnten Normen und
Strukturen, so wie das an Land gehen an eine Angliederung an die neue Gesellschaft gebunden
ist.
Der Ethnologe Victor Turner hat sich, ausgehend von Van Genneps Dreiteilung, ab den
1960er Jahren ausführlich mit der sogenannten „Schwellenphase“ beschäftigt. Er beschreibt die
Schwellenphase – welche der „Trennungsphase“ folgt und der „Angliederungsphase“ vorangeht
– als gekennzeichnet durch eine gewisse Ambiguität. Die in der Schwellenphase befindlichen
Individuen, von ihm als „Schwellenwesen“ oder „Grenzgänger“ bezeichnet, beschreibt er als
„weder hier noch da“, sie bewegen sich folglich zwischen den Gesetzen, Normen, Rollen, Rang
und Status (Turner 1989:115).
Betrachten wir diese Beschreibung nun in Bezug auf die Diskurse und Vorstellungen mit
denen sich diese Arbeit auseinandersetzt, ergibt sich ein interessantes Bild: In Tans Werk wird
auf eine ähnliche kulturelle Situation verwiesen, in der sich die Migrant-innen unterschied-
licher herkunft und sozialer Stellung befinden. Die Reisenden an Deck sind alle in Decken
gewickelt und erwarten die Ankunft. Sie alle sind denselben Prozeduren der Einreise ausgelie-
fert, genauso wie der Witterung an Bord. Am Schiffsdeck zusammengekauert blicken auf die-
selben Wolken und sind gleichsam beeindruckt vom Anblick der groĂźen Statuen im hafen der
Ankunft. Dennoch bleibt der namenlose Migrant auf dem Schiff fĂĽr sich allein und stumm.
Interaktionen werden keine gezeigt. Die von Turner beschriebene „communitas“ des Über-
gangszustands wird hier nicht – jedenfalls nicht explizit – gezeigt. Ganz im Gegenteil wird eher
ein GefĂĽhl der Einsamkeit vermittelt; die Schiffsgesellschaft ist eine Gemeinschaft der gemein-
sam Verlorenen. Sie teilen sich ein ähnliches Schicksal, sie blicken in dieselbe Richtung – aber
jeder fĂĽr sich selbst.
Im fall der Mäuse in „An American Tail“ bleiben gesellschaftliche Verortungen durch
Kleidung, sprachliche Akzente und auch Auftreten fĂĽr die Zuschauer-innen erkennbar. In der
„There Are No cats In America“ Gesangsszene, in welcher der erste Austausch zwischen den
am Schiff befindlichen Mäusen stattfindet, wird dies ganz besonders deutlich. Die Betonung
liegt hierbei jedoch nicht auf der Differenz, sondern vielmehr auf den Gemeinsamkeiten, die in
diesem fall die Verfolgung in der „alten heimat“ und den Migrationsprozess, umfassen. Man
ist gemeinsam hier und teilt Erfahrungen, sitzt als sozusagen wortwörtlich in demselben Boot.
Die Mäusegesellschaft an Bord – und damit das zukünftige amerikanische Volk als hotch-
potch – agiert als Kollektiv. Und am Ende des films ist es auch eine Kollektivleistung, mit der
es den Mäusen gelingt, die Katzen, also das personifizierte Böse, aus New York zu vertreiben.
hinter sich gelassene Verortungen in den herkunftsgesellschaften werden schon am Schiff von
der unterscheidenden und potentiell trennenden Individualität zur nahezu universalistischen
Kollektivität – man ist gleichermaßen von der Verfolgung durch Katzen betroffen, ganz abseits
jeder Intersektionalität. Bildhaft verdeutlicht wird dies noch einmal besonders durch die Situ-
ation auf dem Schiff, in der alle Mäuse zusammen in einem Raum schlafen, egal ob reich oder
arm, alt oder jung, russisch oder sizilianisch.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal