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Mobile Culture Studies.The Journal 1 2o15
David JĂŒnger | Die Schiffspassage deutscher Juden nach PalĂ€stina 151
Landes sollte unmittelbare Auswirkung auf das Leben in der Diaspora haben. Erez Israel war
somit Sinnbild fĂŒr die Erlösung des jĂŒdischen Volkes als weltlicher Nation, die es aber zunĂ€chst
in der Diaspora herzustellen galt. Der zionistische Rabbiner Joachim Prinz erinnerte sich 1980
rĂŒckblickend an den deutschen Zionismus der dreiĂiger Jahre, dessen beinahe prominentester
Vertreter er war: âWe didnât think of going to Palestine, because we didnât think the state could
ever be created. As a matter of fact, the fact that it could not be created was part of our [âŠ]
ideology. The impossibility of Zionism was the beauty of it, that it could not be concretized.
It was a very unconcrete, non-concrete, very idealistic, very romantic thing, a flag, a song.â13
Die Schönheit, der Glanz des Zionismus bestand also â in den Worten von Prinz â aus seinem
utopischen Potential, seiner unbestimmten, idealistischen Bedeutung. Das utopische Erez Israel
des deutschen Zionismus war somit kaum verbunden mit dem realen PalÀstina des Osmani-
schen Reichs bzw. des spÀteren britischen Mandatsgebiets.
Dies sollte sich erst ab den frĂŒhen dreiĂiger Jahren Ă€ndern, als die politischen VerhĂ€ltnisse
in Deutschland Emigration zunehmend zu einer Option der je individuellen Lebensplanung
werden lieĂen und damit aus PalĂ€stina ein potentielles Einwanderungsland machten. Entge-
gen einer verbreiteten Annahme war dafĂŒr jedoch nicht der 30. Januar 1933, sondern bereits
die politische Entwicklung in Deutschland seit Ende 1929 ursÀchlich.14 Immer mehr deutsche
Juden wollten nun PalÀstina aus einem Ort der Imagination in einen realen Ort der individuell-
eigenen oder kollektiv-jĂŒdischen Zukunft transformieren. ZunĂ€chst existierte jedoch nur ein
groĂes fragezeichen: Was ist das, PalĂ€stina?
Victor Klemperer, der zwar bereits 1912 zum Protestantismus konvertiert war, von den
Nationalsozialisten jedoch wieder zu einem Juden gemacht wurde, machte vermutlich 1933 die
erste âBekanntschaftâ mit PalĂ€stina, von dem in seinem freundes- und Bekanntenkreis jetzt so
viel die Rede war. In sein Tagebuch notierte er am 9. Juli des Jahres: âEs soll etwa die GröĂe der
Provinz OstpreuĂen haben.â15 Auch Gabriele Tergit, die 1933 nach PalĂ€stina emigrierte, notierte
in Ă€hnlicher Diktion: âPalĂ€stina ist ganz klein. Es ist so groĂ wie Sardinien oder eine deutsche
Provinz.â16 Diesen Bemerkungen war die Ăberraschung ĂŒber die reale GröĂe des Landes einge-
schrieben, das um vieles kleiner war, als es die Vision vom heiligen Land Erez Israel vermuten
lieĂ. Diese Ăberraschung lĂ€sst sich auch bei vielen anderen deutschen Juden beobachten, die
die historische, religiöse und symbolische Bedeutung des heiligen Landes mit der tatsÀchlichen
13 Leo Baeck Institute New York (LBINY)/AR25385, Interview with Joachim Prinz, 4. September 1980, Transcript.
14 Zur Bedeutung der SpÀtphase der Weimarer Republik vgl. Mosse, Werner E., hrsg. 1966. Entscheidungsjahr
1932. Zur Judenfrage in der Endphase der Weimarer Republik, 2., rev. und erw. Aufl. (TĂŒbingen: Mohr Sie-
beck);
Niederland, Doron. 1996. Juden aus Deutschland. Auswanderer oder FlĂŒchtlinge? Emigrationsformen deutscher
Juden zwischen den Weltkriegen, hebrÀisch (Jerusalem: Magnes Press).
15 Eintrag vom 9. Juli 1933, in Klemperer, Victor. 1996. Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, Teil 1: TagebĂŒcher
1933-1941, hrsg. von Walter Nowojski (Berlin: Aufbau-Verlag), 39.
Zu Klemperer vgl. Jacobs, Peter. 2000. Victor Klemperer â im Kern ein deutsches GewĂ€chs. Eine Biographie
(Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verlag);
Sepp, Arvi. 2009. âZwischen Deutschtum und Judentum. IdentitĂ€t und Selbstentwurf in Victor Klemperers Tage-
bĂŒchern der Nazizeitâ, in Petra Ernst und Gerald Lamprecht, hrsg., Konzeptionen des JĂŒdischen. Kollektive
EntwĂŒrfe im Wandel (Innsbruck: Studien-Verlag), 252â272.
16 Tergit, Gabriele. 1996. Im Schnellzug nach Haifa, mit fotos aus dem Archiv Abraham Pisarek, hrsg. von Jens
BrĂŒning (Berlin: Transit), 25. Vgl. auch Wagener, hans. 2013. Gabriele Tergit. Gestohlene Jahre (Göttingen:
V&R unipress [u.a.]).
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal