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152 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
David Jünger | Die Schiffspassage deutscher Juden nach Palästina
geographischen Größe Palästinas verwechselten. Palästina war also nah und fern in einem,
vertraut und fremd zugleich. Jeder deutscher Jude kannte es und doch kannte es eigentlich
niemand. Alle waren sie schon im heiligen Land gewesen, in Gesängen, in Träumen, in Gebet
und Gottesdienst – kaum jemand jedoch hatte schon einmal die profane Erde Palästinas, jene
Mischung aus Wüste, Sümpfen und verstreuten kleinen Ansiedlungen, mit den eigenen Augen
gesehen, mit den eigenen füßen betreten. Der Münchner Autor Manfred Sturmann, der im
Januar 1937 Palästina bereiste, schildert in seinem Reisebericht eindrücklich jene Kluft zwi-
schen theoretischer Kenntnis und praktischer Anschauung:
„Wir sind gut orientierte Zionisten in Deutschland, und Palästina ist der Schwerpunkt
unseres Lebens geworden; wir bemühen uns, über den Stand des Jischuws informiert zu
sein, wir kennen seine Nöte und fortschritte; wir haben Palästinakunde getrieben und
Iwrit gelernt; wir kennen die Geschichte der Alijot. Aber was bedeutet dies alles bei der auf
uns plötzlich einstürmenden Realität des Landes Wir sind wie blind Gewesene, die plötz-
lich das Sehen, wie lahm Gewesene, die plötzliche das Gehen gelernt haben.“ 17
Wie Sturmann wollten im Verlauf der dreißiger Jahre immer mehr deutsche Juden aus dieser
Mischung aus religiösen Imaginationen und vagen Ahnungen nun endlich Gewissheit machen:
Wie sieht es aus, dieses Land, das die Zukunft des jüdischen Volks zu sein verspricht und
zugleich Zufluchtsmöglichkeit für die eigene, immer brüchiger werdende Existenz?
Dies geschah auf verschiedenen Ebenen. In der jüdischen Presse wurden Einzelberichte
und Artikelserien über das ferne, unbekannte Land publiziert. In sieben Teilen berichtete unter
anderem das Israelitische Familienblatt im frühjahr 1935 unter der Überschrift „Besinnliche
fahrt ins Land der Juden. Reisebriefe unserer mit der ‚Tel-Aviv’ nach Palästina entsandten Son-
derberichterstatterin Doris Wittner“.18 Ab Dezember 1935 folgte auch die zionistische Jüdische
Rundschau mit einer fünfteiligen Reiseberichtserie „Briefe von einer Orientreise“.19 Gleichzeitig
fanden landesweit Vorträge meist prominenter Palästinareisender statt und es erschienen Reise-
führer und Reiseberichte in Buchform.20 Nicht zuletzt wurde der erste Palästinatonfilm „Land
der Verheißung“ im Mai 1935 in Berlin, Breslau und hamburg uraufgeführt.21 Am Wichtigsten
war jedoch das eigene sinnliche Erleben: die Reise nach Palästina.
17 Sturmann, Palästinensisches Tagebuch, 5.
18 Die sieben Teile erschienen in den Ausgaben vom 14. und 28. februar, 14. und 28. März, 11. und 23. April sowie
9. Mai 1935. Vgl. auch Siegel, ‚Die Jungfernfahrt der „Tel Aviv“ nach Palästina im Jahre 1935“.
19 Die fünf Teile erschienen in den Ausgaben vom 3, 13. und 20. Dezember 1935 sowie vom 3. und 7. Januar 1936.
20 Sturmann, Manfred. 1937. Palästinensisches Tagebuch. Aufzeichnungen einer Reise (Berlin: Brandus);
Ben-Gavriel, M[osche] Y[aakov]. 1938. Kleines Palästinabuch für empfindsame Reisende (Mukatschewe
[Mukačevo]: Nekudah-Verlag);
herrmann, hugo. 1935. Palästina heute. Licht und Schatten (Tel-Aviv: hamatarah);
cahnmann, Werner J. 2005. Unruhe in Palästina. Reisebericht und Folgerungen aus dem Jahre 1936, (Berlin
1936), in Werner J. cahnmann, Deutsche Juden. Ihre Geschichte und Soziologie, hrsg. v. Judith Marcus und
Zoltán Tarr (Münster: Westfälisches Dampfboot), 57–82.
21 Eloesser, Arthur. 1935. ‚Land der Verheißung. Der erste Palästina-Tonfilm‘, Jüdische Rundschau, 28. Mai 1935.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal