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158 Mobile Culture Studies. The Journal 1 2o15
David Jünger | Die Schiffspassage deutscher Juden nach Palästina
In Mühsams Beschreibung fließen im Boden Palästinas die heroische Vergangenheit des jüdi-
schen Volkes, die bunte, mannigfaltige Gegenwart sowie die lebendige Zukunft ineinander. In
ähnlicher Weise fühlte auch Willy cohn als er vor Alexandria die Küste Ägyptens erreichte. In
sein Tagebuch notierte er nun ein kurzes Gedicht, das erst in seiner Vollständigkeit die mythi-
sche faszination zum Vorschein bringt:
„In Ägypten
Als vor unendlicher langer Zeit
Die Väter einst aus diesem Lande zogen
Was wußten sie, ob einst im anderen Kleid
Die Kinder einst aus andrem Lande flogen
Wir wandern nun schon lange durch die Lande
Wir sahn der Könige kommen und ihr Gehen
Wir waren frei, wir trugen schwere Bande
Und unser Leben war nicht immer schön.
Nun sammelt man uns ein zu unserer Erde
Und viele folgen diesem Rufe gern
Auf daß aufs Neue dieses Volk nun werde
Vertrauen wir dem G’tte, unserem herrn.
Mizrajim, ist das letzte auf der Reise
wie einstmals es am Anfang lag
Wir gehen heute gewiß ein wenig weise
Und von Jerusalem grüßt schon ein neuer Tag!“ 41
Diesen Gefühlsregungen bei der Anfahrt auf das heilige Land konnte sich kaum jemand
entziehen. Der Berliner Pädagoge heinemann Stern hatte sich mit seiner frau 1938 auf eine
Urlaubsreise nach Palästina begeben. Sterns Erlebnisse verarbeitete er in seinen Memoiren,
die im Jahr 1970 erschienen. Stern war jeder zionistischen Neigung unverdächtig, machte
sich immer wieder über den Zionismus, die Zionisten sowie das jüdische Palästina lustig und
betonte an verschiedenen Stellen demonstrativ, er habe sich lediglich auf einer Vergnügungs-
reise zu seinen Kindern befunden. Aber selbst Stern musste bei der Anfahrt auf Palästina emo-
tionale Ergriffenheit konzedieren:
„Palästina! heiliges Land! Gelobtes Land! Land der Väter, Land der Kinder! Erez Israel! […]
Niemand, der nicht von den alten Gefühlen, die die Geschichte in jedem Juden, welcher
Richtung und Partei er auch angehören möge, in diesem Augenblick auslösen muß, und
von den jungen Empfindungen, die das bittere Erleben geweckt hat, in tiefster Seele bewegt
wäre.“ 42
41 cohn, Kein Recht, nirgends, 390
42 Stern, heinemann. 1970. Warum hassen sie uns eigentlich? Jüdisches Leben zwischen den Kriegen, hrsg. v. hans
ch. Meyer (Düsseldorf: Droste), 256.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 1/2015
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 1/2015
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 216
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal