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Mobile Culture Studies. The Journal 2 2o16
Johanna Rolshoven, Joachim Schlör | Erzwungene Bewegungen und neue AnkerplÀtze 9
dass die Schicksale der Einzelnen, der Familien und Gruppen âauf dem Wegâ (die alltĂ€gliche
kulturelle Praxis des âAuswandernsâ, von der Vorbereitung ĂŒber die Reise selbst bis zur nach-
trĂ€glichen Erinnerung daran) dabei nicht verlorengehen, muss â und kann â Migrationsfor-
schung und Forschung zum weiten Feld der MobilitÀt sich in eine Beziehung zu benachbarten
Themenfeldern begeben und Anregungen aus den Bereichen der transnationalen und postko-
lonialen Forschungen ebenso aufnehmen wie Ideen beispielsweise der Sachkulturforschung, der
Geschlechterforschung, oder auch der Erinnerungsgeschichte â etwa am Beispiel der Auswan-
dererlieder und der Darstellung von Migrationserfahrungen im Museum.
Wie der Beitrag von Tony Kushner stellt derjenige von Oya Topdemir KoçyiÄit (UniversitĂ€t
Istanbul) aktuelles Geschehen in historische Bezugsfelder und betont die langwierigen, langle-
bigen und Generationen ĂŒbergreifenden Momente individueller wie gesellschaftlicher Migra-
tions- und Verlusterfahrungen. Die historische transnationale Erfahrung ist eine soziale Tatsa-
che, ohne die das PhÀnomen Gesellschaft nicht denkbar ist. Sie markiert den gesellschaftlichen
Wandel ĂŒber die sich vermengenden Artikulationen von âeigenâ und âfremdâ ebenso wie die
hartnÀckigen KontinuitÀten des Ausschlusses, der Abwehr und Denunziation.
Artur Depner und Simon Goebel (TĂŒr an TĂŒr e.V., Augsburg) werfen einen diskursanaly-
tischen Blick auf den Zusammenhang zwischen der politischen Rhetorik aktueller parlamen-
tarischer Reden in Deutschland und deren Bedeutungsproduktion im Kontext gesellschaftli-
cher Stimmungen. In ihrer Kulturanalyse des politischen Sprechens ĂŒber Fluchtmigration und
Zuwanderung und die sie bedingenden Politiken tritt der Wirkungszusammenhang zwischen
Sprache und Handlung hervor und ihr Einfluss auf das öffentliche und private Denken von
Migrationsgeschehen.
Alejandro Miranda (Western Sydney University) untersucht an einem Beispiel kĂŒnstleri-
scher Praxis Synergien, Anforderungen und Zumutungen der berufsbedingten transnationalen
MobilitÀt. Eine Synthese von Reise- und Migrationsforschung liefert ihm den theoretischen
Hintergrund fĂŒr die differenzierte ethnographische Betrachtung alltĂ€glich-unspektakulĂ€rer
mobilitÀtsinduzierter Formen der Sicherung der Subsistenz, des Austauschs, der Begegnung
und â hierauf fuĂend â der Transformation von kulturellen Praktiken und Wissensbereichen.
Christine Egger (UniversitÀt Passau) zeigt in ihrem Beitrag die konkreten sichtbaren und
unsichtbaren Auswirkungen der Migrationsereignisse 2015 am Beispiel der deutschen Mittel-
stadt Passau, die im Laufe eines Jahres ĂŒber eine Million FlĂŒchtlinge empfangen hat. Tatkraft
und Empathie, Engagement und Ideenreichtum von bĂŒrgerschaftlichem und stadtpolitischem
Engagement markieren das Integrationsvermögen einer Stadt, die in ihrer Aufnahmebereit-
schaft auf das historische GedĂ€chtnis an frĂŒhere Aufnahmeerfahrungen konstruktiv zurĂŒck-
greift. So âragtâ, um ein von Egger angefĂŒhrtes Zitat von Doreen Massey zu paraphrasieren, âdie
Vergangenheit in die Gegenwart, das Ferne in die NĂ€heâ.
Das GesprÀch mit dem Historiker Peter Burke (Emmanuel College, University of Cam-
bridge) bringt dessen lange und reichhaltige Auseinandersetzung mit historischen Lebenswelten
in Kontakt mit dem Thema der kulturellen Mobilisierung. Dieses hatte ihn im Oktober 2015 zu
einem Seminar nach Graz gefĂŒhrt, in einem Augenblick, als dort die FlĂŒchtlingsbewegungen
von SĂŒdosteuropa nach Deutschland ihre Spitze erlebten. Auch der Historiker unterstreicht die
Arbeit an den Begriffen, die in der Berichterstattung und deren Rezeption stark beansprucht
und oft verzerrt werden.
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 2/2016
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 2/2016
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 168
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal