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Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
de Almeida, Müller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal 71
persönlichen Erfahrungen vor Ort betonen, gewinnen sie an Authentizität. Rosa Cravos benö-
tigte, ganz wie Roswitha Bronski in Alexander Kluges Film, als „Beweis“ für die beobach-
tete Situation nichts weiter, als den politischen Prozess „mit eigenen Augen gesehen“ zu haben
(Kluge 1973: 01:17:50).
Der politische Prozess war allerdings starken Schwankungen unterworfen. Um den Verhält-
nissen, die sich „schneller verändern als sie interpretiert werden können,“ (Cravos 1975a: 18) in
ihrer Abbildung gerecht zu werden, mussten die gewonnenen Erkenntnisse immer wieder über-
prüft, bewertet, arrangiert, verdichtet und in eine übersichtliche Form gebracht werden. Hier-
für nahm die Darstellung Anleihen bei der bereits in der Französischen Revolution gebräuchli-
chen Gattung des literarischen Tableaus. Vorreiter im Genre des literarischen Tableaus, das zur
Wissensorganisation heterogener Inhalte dient, war Louis-Sébastien Mercier mit seinem Buch
Tableau de Paris (1781/88), das bis zur Französischen Revolution auf 12 Bände anwuchs und
einen enormen Erfolg verbuchte (vgl. Graczyk 2004: 128). Das „im Sinne einer literarischen
Flanerie angelegte“ (Graczyk 2004: 126) Buch nahm sich vor, die französische Hauptstadt in
ihrer Gesamtheit darzustellen, wobei es von „der Sprache des Engagements, die sich einmischt,
die mobilisieren und polarisieren will“ (Graczyk 2004: 127), getragen ist.
Die Darstellungs- und Argumentationsform der Zeitschrift links stützte sich nicht auf
selbstgemachte Bilder, sondern entwarf ein textuelles Wissenstableau unter Einbezug aller
gesellschaftsrelevanten Faktoren. Die Texte und die Verwendung von Bildern standen offen-
sichtlich im Zeichen der Dringlichkeit, die aus den sich rasch verändernden Verhältnissen resul-
tierte, wie man anhand der situationsangepassten Arrangements sehen kann. Neue Anordnun-
gen und Erweiterungen wurden vorgenommen, so etwa im portugal extrablatt (Sozialistisches
Büro 1975),17 das das Sozialistische Büro im September 1975 im Zuge seiner Portugal-Kampagne
massenhaft vertrieb, und in der mit Maschine getippten 160-seitigen „Broschüre“ unter dem
Titel „Portugal — Auf dem Weg zum Sozialismus?“ (Sozialistisches Büro 1975b).
Eine Revolution filmen. Dokumentarische Ansichten von Portugal
Dieses Wissenstableau wird ergänzt von einer Reihe von politischen Dokumentarfilmen über
die portugiesische Revolution, die ebenfalls als unmittelbare Reaktion auf die politischen
Umbrüche im Land entstanden sind.
Bilder von der Revolution produzierten vor allem portugiesische Filmemacher*innen.
Schon am Tag der Revolution erfüllte die Filmkamera eine Reportagefunktion. Nur vier Tage
später besetzten Filmschaffende die staatliche Abteilung für kulturelle Veranstaltungen sowie
das portugiesische Filminstitut, sie gründeten die Gewerkschaft der Arbeiter der Kino- und
Fernsehproduktion und gestalteten ein Programm, das Kino in erster Linie als Instrument
für Kultur und politische Bildung verstand. Es wurden Filmkooperativen sowie unabhängige
Produktionseinheiten unter dem Namen Kinematographische Aktions- und Animationsgrup-
pen18 gegründet, die aus je einer Regisseur*in, einer Regieassistent*in, eine/n Kameramann/
frau, eine/n Tonmann/frau und einen Offizier der MFA bestanden. Sie reisten durch Portugal,
17 Der nur vierseitige Text enthält neben einem zeitgeschichtlichen Abriss des revolutionären Prozesses acht „Thesen
zur portugiesischen Revolution & Konterrevolution“ und eine Abrechnung mit der SPD, die durch ihre Unter-
stützung von Mário Soares eine „konterrevolutionäre Rolle“ einnahm.
18 pt. Grupos de Acção e Animação Cinematográfica
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Mobile Culture Studies, Band 2/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 2/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal