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80 Mobile Culture Studies. The Journal 6 2o20 (Travel)
de Almeida, Müller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal
In den meisten Fällen fehlt das Voiceover aber gänzlich, wodurch die Inhalte der Diskussionen
und Reden in langen Einstellungen unkommentiert hörbar werden. Dazu gehören die Inter-
views mit dem General und Ministerpräsident Vasco Gonçalves sowie jenes mit dem Offi-
zier Teixeira und — eine Besonderheit des Films — die Interviews im Stahlwerk Siderurgia
Nacional und in der von der LUAR unterstützten Kooperative Quinta do Mor, in denen die
(Land-)Arbeiter*innen selbstständig die Rolle der Interviewer*in einnehmen. Man merkt, dass
hier Journalist*innen ein Bild von Portugal entwerfen, das auf Nachvollzug und Verständnis
von Zusammenhängen setzt. Unter dem Schlagwort „Von Portugal lernen“ folgen der Film wie
das begleitende Buch einer ähnlichen Dramaturgie. Durch die Betrachtung der verschiedenen
Aspekte der Revolution wird das Verständnis von Volkserziehung als emanzipative Selbstor-
ganisation behandelt. Wie gründet man eine Kooperative? Wie besetzt und verteilt man Land
neu? Wie funktioniert eine selbstorganisierte Fabrik?
Während zumindest zu Beginn der Dreharbeiten von Torre Bela die Idee bestand, den Film
anderen Kooperativen in Portugal als Agitationsmittel vorzuführen, richtet sich Viva Portugal!
eher an ein westeuropäisches Publikum. So fertigte kurz nach dem Erscheinen des Films unter
anderen die britische militante Filmgruppe Cinema Action eine englischsprachige Fassung an,
um die transnationale Diskussion über Emanzipation und Selbstbefreiung weiterzutragen.33
Die internationale Vernetzung und Herstellung von transnationalen Gegenöffentlichkeiten und
Distributionszirkeln galt als Strategie des militanten und aktivistischen Kinos. In Deutschland
konnte der Film kurz nach Erscheinen im Oktober 1975 unter anderen über die Zeitschrift links
ausgeliehen werden und ging ebenfalls mit der Portugal-Solidaritätskampagne des Sozialistischen
Büros auf Tour, auf der er auf ca. 50 Veranstaltungen gezeigt wurde (vgl. o.V. 1975: 21). Nach
eigenen Angaben des Sozialistischen Büros sahen so etwa 20 000 Menschen zwischen 1975 und
1976 Viva Portugal! und spendeten dem Film, „an vielen Stellen lebhaften Beifall“ (o.V. 1975: 2).
Das didaktische Interesse des Films und die Vermittlung der politischen Situation Portu-
gals lassen sich auch an diesen Aktionen messen. Im Buch zum Film gibt es eine zusammenfas-
sende, von einer Faszination von der historischen Situation und den Kämpfen der portugiesi-
schen Bevölkerung geprägte Bilanz über die Nelkenrevolution, welche ebenso einen Kommen-
tar in Richtung Bundesrepublik darstellt:
Gerade die Tatsache, daß der Befreiungsprozess, die Volkserziehung in Portugal, von der arbei-
tenden Bevölkerung selbst vorangetrieben wird mit einem ungeheuren Reichtum an Erfahrungen
und Möglichkeiten, macht ihn für uns so wichtig und lehrreich. Denn das kapitalistische System
mit seiner domestizierenden Erziehung, die Menschen als leeren Raum mit Wissen anfüllt, mit
Tatsachen oder, wie Freire sagt, mit Spareinlagen anhäuft, so als sei auch der Schüler ein Anlage-
objekt und der Lehrer der Anleger, der Investor — , dieses System hat auch bei uns seine Opfer
und nicht nur unter den Unterprivilegierten rund 90% der Volksschulabgänger. (Gerhards/Rauch/
Schirmbeck 1976: 14)
Vergleicht man Viva Portugal! mit Thomas Harlans Film, wird deutlich, dass sich die Her-
angehensweisen und Interessen an der Nelkenrevolution stark unterscheiden. Während das
politisch-journalistische Projekt Viva Portugal! versucht, für die Neue Linke Deutschlands
Zugang zur revolutionären Situation und deren Bedeutung für die Befreiungspädagogik zu
33 Siehe: http://www.cinemaaction.co.uk/viva-portugal/ [Entnahme: 13.2.2020].
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Mobile Culture Studies, Band 2/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 2/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal